Offener Brief an Stefan Niggemeier

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Offener Brief an Stefan Niggemeier,

im Verlauf des „Wahl-Duells“ am Sonntag, den 1. September 2013, verwendeten Sie auf Twitter folgende Formulierung:

Sie nutzten die psychiatrische Diagnose der „tiefgreifenden Entwicklungsstörung“ Autismus als Bezeichnung für Kanzlerin Merkel und ihren Konkurrenten Steinbrück. Was Sie genau damit bezwecken wollten, können wir nur raten, aber unsere bisherigen Erfahrungen mit der Verwendung dieses Begriffs in den Medien lassen uns Folgendes vermuten: Sie unterstellen den beiden Diskussionsteilnehmern, nicht zuzuhören, die Argumente anderer zu ignorieren und ‚in ihrer eigenen Welt zu leben‘. Da es sich um die Bezeichnung einer psychiatrischen Diagnose handelt, pathologisieren Sie deren Verhalten zusätzlich.
Dazu beschränken Sie den Autismus-Begriff auf die im Volksmund vertretenen gängigen Vorurteile und verwandeln ihn in ein Persönlichkeitsmerkmal.

Kurz: Sie nutzen den Begriff „Autisten“ als Schimpfwort.

Gerade weil Sie als kritischer Journalist oft als gutes Gewissen der deutschen Medienlandschaft auftreten, finden wir Ihren Tweet fatal. Er wurde zudem von nicht weniger als 83 Menschen favorisiert und 89 Mal retweetet. Nicht wenige darunter haben vermutlich weder ein schlechtes Gewissen noch ist ihnen bewusst, was die gedankenlose und unkritische Anwendung des Begriffs für Autisten bedeutet. Sie haben Ihre Vorbildfunktion verfehlt und daran mitgewirkt, die missbräuchliche Anwendung weiter salonfähig zu machen.

Autismus ist eine Behinderung, die von der Bevölkerung und den Medien nicht sehr gut verstanden wird. Filme oder Bücher wie „Supergute Tage“ haben ein Bild von Autisten gezeichnet, das bestimmt ist von der Außensicht auf sie. Demnach leben Autisten angeblich in einer eigenen Welt, hören und sehen nicht, was an sie herangetragen wird, oder schlimmer noch, sie sind böswillig, unkooperativ und aggressiv. Diese Missdeutung fand ihren vorläufigen, traurigen Höhepunkt in der Berichterstattung nach dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule.

Wir, die Autoren und Unterzeichner dieses Briefes, sind diagnostizierte Autisten oder Angehörige. Die Vorurteile und Probleme, die uns durch die fehlerhafte Berichterstattung sowie den inflationären Missbrauch des Begriffs entstehen, sind keineswegs theoretisch. Sie beschädigen unser Leben und das Zusammenleben mit unseren Mitmenschen. Sie untergraben unseren Stand in dieser Gesellschaft.

Daher fordern wir Sie auf, den genannten Tweet zu löschen und sich mit dem Themenkreis Medien und Inklusion auseinanderzusetzen. Eine gute Anlaufstelle dafür ist Leidmedien.de oder die Tagung der Grimme-Akademie am 26.09.2013. Ebenfalls legen wir Ihnen die verlinkten Beiträge ans Herz.

Noch ein Rat: Vor dem Twittern einfach mal einen Begriff durch „Behinderte“ ersetzen. Wenn der Satz dann blöd klingt, ist er es auch.

Unterzeichner:

 1. Mela Eckenfels
2. Sabine Kiefner
3. Hawkeye
4. MrsGreenberry
5. Amy
6. dasfotobus
7. Lasse von Dingens
8. Mundpilz
9. Inkongruent/42
10. Gedankenkarrussel
11. Kobold
12. ~Lena~
13. mädel
14. Sam Becker
15. nimabe
16. milena
17. Katja Carstensen
18. Martina Uppenthal
19. Charly Schwarzer
20. wochenendrebell
21. omenanto
22. seidmalnetter
23. Evelyn Illgen
24. Wendelherz
25. Aspergirl

Weitere Unterzeichner können die Kommentarfunktion unter dem Artikel nutzen.

Zum Weiterlesen:

Artikel über die Verwendung des Begriffes in den Medien:

http://leidmedien.de/gastbeitraege/ueber_autismus_berichten/
http://www.ennomane.de/2013/03/21/nochmal-autismus/
http://www.auticare.de/infos/autismus-was-ist-das.html
http://aufgerollt.com/2013/02/autisten-haben-kein-lobby/

Artikel von Autisten:

http://realitaetsfilter.com/2013/03/03/von-medien-und-schadensbegrenzung/
https://aspergerfrauen.wordpress.com/2013/03/03/schublade-autismus-warum-es-zeit-wird-aufzuraumen/
http://dasfotobus.wordpress.com/2011/09/13/politischer-autismus/
http://autzeit.wordpress.com/2013/03/21/gut-dass-wenigstens-die-medien-bescheid-wissen/
http://blog.geekgirls.de/mela/archives/189-Autismus-als-Modewort.html
http://blog.geekgirls.de/mela/archives/190-Post-Mortem.html
http://blog.geekgirls.de/mela/archives/196-Man-fuehlt-sich-eingeschraenkt-Autismus-in-der-Alltagssprache.html
https://quergedachtes.wordpress.com/2013/03/26/wieso-die-suche-nach-erklarungen-und-was-flotz-damit-zu-tun-hat/
https://quergedachtes.wordpress.com/2013/03/21/es-geht-auch-ohne/
https://quergedachtes.wordpress.com/2013/02/16/autismus-im-teufelskreis-der-sprache/
https://quergedachtes.wordpress.com/2013/02/15/atomraketen-scheuklappen-und-journalistischer-wahnwitz/
https://quergedachtes.wordpress.com/2013/02/11/autismus-krieg-gefuhlskalte-und-die-psychopathen/

Podcast:

http://www.ennomane.de/2012/12/17/angriff-der-killerautisten/

Tagung der Grimme-Akademie:

Inklusion und Medien

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Quelle: http://blog.geekgirls.de/mela/archives/200-Offener-Brief-an-Stefan-Niggemeier.html

Die Antwort auf den offenen Brief von Herrn Niggemeier:

Liebe Frau Eckenfels,
hallo zusammen,

keine Frage: Das Wort „Autist“ in meinem Tweet über das „TV-Duell“ war nicht gut. Es war gedankenlos und falsch, den Begriff als Synonym zu nehmen für „Leute, die nicht zuhören oder nicht richtig kommunizieren“. Das war schon deshalb dumm, weil ich den beiden Diskussionsteilnehmern ja nicht vorwerfen wollte, dass sie nicht zuhören können, sondern dass sie es offensichtlich nicht wollen. Vor allem aber beruht die Wortwahl, wie Sie schreiben, auf Vorurteilen und einer stereotypen Wahrnehmung von Autisten.

Ich habe das für mich als Blödheit und Gedankenlosigkeit meinerseits abgetan – beim schnellen Twittern kommt das schon mal vor. Was ich zunächst nicht verstanden habe, ist das Ausmaß des Ärgers darüber. Für mich ist „Autist“ selbstverständlich kein Schimpfwort, deshalb habe ich nicht verstanden, warum sich Menschen vom Gebrauch dieses Wortes verletzt fühlen sollten. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass das keine Überreaktion von Betroffenen ist, sondern ich den Begriff in meinem Tweet ganz eindeutig wie ein Schimpfwort benutzt habe. Das wollte ich nicht und das tut mir leid.

Ich möchte den Tweet trotzdem nicht löschen. Nicht, weil ich irgendwie an ihm hänge, wirklich nicht. Aber weil das immer so wirkt, als sei es mit einer Löschung getan — als sei die Sache aus der Welt, wenn der Tweet aus der Welt ist. Ich werde aber selbstverständlich auch auf Twitter auf den Tweet und auf diese Diskussion verweisen.

Danke für den Brief; er hat mich sensibilisiert. Das Traurige ist: Ich hätte gewettet, dass ich diese Art von Sensibilisierung wirklich nicht nötig hätte.

Mit freundlichen Grüßen
Stefan Niggemeier

Quelle: http://blog.geekgirls.de/mela/archives/200-Offener-Brief-an-Stefan-Niggemeier.html#c1264

Overload – Wenn die Hitze zuviel wird

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Phase 1 – die Reizüberflutung

Seit Tagen ist es heiß. Heiß und unerträglich schwül. Die Kleidung klebt auf der schwitzenden Haut, genauso wie meine Haare, die ständig nass sind – auch in der Nacht. Dieses Gefühl ist nicht auszuhalten, macht mich unruhig. Ich möchte, dass es aufhört, sofort aufhört. Es muss aufhören. Muss aufhören, weil ich es nicht mehr ertrage. Weil es mich aggressiv macht dieses Gefühl, den ganzen Tag über jede einzelne Schweißperle auf der Haut zu spüren. Es ist ein ständiges Kribbeln und Kitzeln, welches durch die am Körper klebende Kleidung noch verstärkt wird. Meine Haare stören so sehr, dass ich sie mir am liebsten abschneiden möchte. Immer wieder haften sie auf der Haut, so dass ich permanent damit beschäftigt bin, sie aus dem Gesicht oder von den nackten Oberarmen zu entfernen. Ich bin erschöpft von der Hitze und der taktilen Reizüberflutung. Aber schlafen kann ich in der überhitzten Dachwohnung nicht. Im Viertelstunden-Rhythmus schaue ich auf den Radiowecker. Auch um drei Uhr nachts hat es kaum abgekühlt. Meine Haare kleben am mittlerweile nassen Kopfkissen und meine Arme und Beine kribbeln, als liefen tausend Ameisen darüber. Ich wühle mit dem Kopf hin und her, um mich zu beruhigen. Ich will schlafen, endlich schlafen, weil ich total übermüdet bin. Doch solange die Hitze meinen Körper überreizt, komme ich nicht zur Ruhe. Im Gegenteil. Das Hautkribbeln und Kitzeln dringt in mein Innen-Sein und bringt mich an die Grenze des Ertragbaren.

Phase 2 – die eingeschränkte Funktionsfähigkeit

„Kind, da müssen wir alle durch.“, versucht mein Vater, mich am Telefon zu beruhigen.
Ja, ich muss da durch. So, wie die anderen Menschen auch. Aber ich weiß nicht wie. Meine Funktionsfähigkeit ist nur noch minimal. Ich starre an die Wand und wünsche mir Schnee. Oder zumindest ein Gewitter, welches mit dem Regen Abkühlung bringt. Ich brauche dringend eine Abkühlung, damit das ständige Kribbelkitzeln auf meiner Haut aufhört und ich wieder schlafen kann. Stattdessen wird es noch schwüler und heißer. Die Luft bewegt sich nicht. Ich bin wie gelähmt. Kann mich weder konzentrieren noch handeln. Nur auf meinem Bett sitzen und schweigen. Zum Glück habe ich keine wichtigen Termine.

Phase 3 – Selbstgespräche und Schimpfen

Am Nachmittag ist die Grenze des Erträglichen überschritten. Ich kann nicht mehr stillsitzen, muss mich bewegen, muss etwas tun gegen das Kribbelkitzeln und die an meinem Körper klebende Kleidung und Haare. Ich laufe vom Wohnzimmer in die Küche und zurück – immer und immer wieder. Der Druck in meinem Innen-Sein ist unerträglich. Das Unwohlsein und das Zuviel an Reizen durch die Hitze findet laute Worte. Monologe Worte. Worte, die ich nicht mehr aufhalten kann. Doch das Schimpfen erschöpft mich nach kurzer Zeit. Und die Reizüberflutung bleibt, weil die Worte nichts ändern an der Schwüle und es keinen Weg gibt aus der Situation gibt, solange die Hitze andauert.

Phase 4 – Der Zusammenbruch

Ich kann nicht mehr. Will schreien, einfach nur noch schreien. „Aufhören, aufhören!“ hämmert es in meinem Kopf. Ich darf nicht schreien. Bloß nicht schreien. Ich muss Rücksicht nehmen, vor allen Dingen auf meinen Sohn, der mit meinem Schreien überfordert wäre. Aber was soll ich tun? Mein Fühlen ist kaum noch zu ertragen. Genauso wie die Hitze und die verschwitzte Kleidung, die an meinem Körper klebt. Dann bricht es aus mir heraus, das Weinen, das mehr ein Knatschen ist. Ein Knatschen, wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Es ist nicht mehr zu stoppen. Ich habe keine Kontrolle mehr über den Druck in meinem Innen-Sein. Ich werfe mich auf mein Bett und heule wie ein kleines Kind. Ich suche nach Halt. Halt, den mir in solchen Situationen mein Kuscheltier gibt. Aber durch die schwüle Wärme gibt der Plüschsaurier keinen Halt, weil er noch mehr Hitze abgibt und kein sicherheitsbringendes Wohlfühlen erzeugt. Das Einzige, was noch hilft, ist das Hin- und Herwühlen mit dem Kopf, bis das Heulen nach über einer Stunde nachlässt. Ich werde mindestens einen Tag benötigen, um mich zu erholen. Und ein Kühle bringendes Gewitter, welches die Reizüberflutung endlich beendet. Ich möchte mich nicht damit auseinandersetzen, was in mir geschieht, wenn die Hitze bleibt. Dazu habe ich keine Kraft mehr.

B. sucht – Thema Autismus

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Am Donnerstag, den 11. Juli 2013 zeigt der WDR um 22 Uhr im Rahmen einer neuen Sendung mit Bettina Böttinger einen halbstündigen Beitrag zum Thema Autismus. Dem Namen der Sendung „B. sucht“ entsprechend hat Frau Böttinger drei autistische Menschen zuhause besucht, um zu zeigen, wie sie leben und wie ihr Alltag aussieht. Eine dieser Menschen war ich. Aus diesem Grund bin ich besonders gespannt darauf, wie der Beitrag sein wird.

Hier ein Auszug aus dem Programmhinweis des WDR: B. sucht – Autismus

Das Wort „Autismus“ weckt bei den meisten Menschen unweigerlich Assoziationen von schrullig-sympathischen Genies à la „Rainman“; Menschen, die im normalen Alltag völlig überfordert sind und sich kaum eigenständig die Schuhe zubinden können. Die aber über ein Superhirn verfügen und schwierigste Rechenaufgaben blitzschnell im Kopf rechnen können. Mit der Wirklichkeit indes hat dieses Klischee zumeist nur wenig zu tun. Tatsächlich ist die Bandbreite autistischer Erscheinungsformen riesengroß und jeder Autist hat eine ganz eigene Geschichte…

…Sabine Kiefner reagiert hypersensibel auf Lärm, Licht und Gerüche. Die Diagnose Autismus bekam sie vor vier Jahren. Das war für sie eine Befreiung. Sabine Kiefner war immer eine gute Schülerin. Sie strengte sich ihr ganzes Leben lang an, nicht aufzufallen, obwohl sie schon immer wusste, dass sie anders ist.

bsucht

Foto mit freundlicher Genehmigung der Encanto Film & TV Produktions GmbH

!!! Update !!!

Für alle, die die Sendung verpasst haben oder noch einmal sehen wollen, steht der Beitrag in der WDR-Mediathek zur Verfügung: B. sucht – Autismus  

Autismus – das Problem der unsichtbaren Behinderung

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Was man nicht sieht, existiert nicht

Leider ist das eine sehr verbreitete Sichtweise, gerade im Hinblick auf Behinderungen. Ist eine Behinderung nicht sichtbar, dann existiert sie auch nicht. Das hat im Alltag sowohl Vorteile als auch Nachteile. Auf jeden Fall wirkt es sich auf die Erwartungshaltung der Anderen gegenüber des behinderten Menschen aus.

Von einem Menschen, dem man seine Behinderung nicht ansieht, wird erwartet, dass er sich genauso verhält wie seine Mitmenschen. Das führt zu einem immensen Anpassungsdruck.
Von einem Menschen, dessen Behinderung sichtbar ist, erwarten viele Menschen hingegen automatisch weniger, weil dieser auf seine Behinderung reduziert wird und man ihm viele Dinge nicht zutraut, obwohl er diese durchaus bewerkstelligen kann und möglicherweise nur ein wenig Unterstützung benötigt. Das heißt, er muss beweisen, dass er bestimmte Dinge trotz seiner Behinderung leisten kann, während der Mensch mit einer nicht sichtbaren Behinderung sich rechtfertigen muss, dass er manche Dinge nicht oder nicht so gut kann, weil er behindert ist und trotzdem damit rechnen muss, dass er von Außenstehenden nicht akzeptiert wird, weil man ihm doch gar nicht ansieht, dass er eine Behinderung hat.

Autismus – Schafft ein Outing Akzeptanz?

Viele autistische Menschen erleben solche Situationen immer wieder. Weil man ihnen den Autismus nicht ansieht, existiert er für Außenstehende schlichtweg nicht und es wird erwartet, dass sie sich „normal“, also nicht autistisch verhalten. Diese Erwartungshaltung führt aber durch den Anpassungsdruck schnell zu einer Überforderung. Und aus der Überforderung heraus resultiert häufig ein autistisches Verhalten, welches dann Irritationen und einem Missverstehen, bzw. einer Fehlinterpretation zur Folge hat.
Ist es da nicht einfacher, sich gleich als AutistIn zu outen, um gar nicht erst in diese Überforderungssituationen zu geraten? Oder beginnen die Probleme erst dann, wenn man sich geoutet hat, weil man in die Schublade Autismus gesteckt, die leider immer noch das für viele Menschen typische Bild des Rainman und einige andere Mythen enthält?
Die Frage ist nur schwierig zu beantworten. Letztendlich muss das jeder für sich selber entscheiden. Denn ein Outing birgt immer Vor- und Nachteile. Egal, ob im Berufs- oder Privatleben. Und es gibt sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Oft steht hinter einem Outing auch die Angst davor, ob man ernst genommen und die Diagnose Autismus vom sozialen Umfeld akzeptiert wird. Ich habe selber erlebt, dass Menschen, die mich sehr lange kennen, Schwierigkeiten damit hatten, mit meiner Diagnose umzugehen. Da fielen Äußerungen wie: „Du, eine Autistin. Niemals.“, „Du warst aber doch bis jetzt ganz normal.“ oder: „Dann hast du das aber erst jetzt bekommen.“ Es gab auch Menschen, die sich von mir zurückgezogen haben oder sich mir gegenüber plötzlich anders verhielten.

Auf der anderen Seite nimmt mir der offene Umgang mit meinem Autismus den permanenten Anpassungsdruck. Heute entscheide ich, inwieweit ich mich anpassen möchte und in welchen Situationen mein autistisches Sein mein Handeln bestimmt, weil es mir damit besser geht und ich nicht in eine Überforderung gerate, die möglicherweise zu einem Overload führt. Oder zumindest einen immensen Kraftaufwand bedeutet, der mich an meine Grenzen bringt oder sogar darüber.

So habe ich im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens eine Betreuerin, die mich unter anderem zu Arzterminen oder Behördengängen begleitet. Für mich ist das eine enorme Entlastung, die allerdings auch schon einmal dazu geführt hat, dass eine Arzthelferin nicht mit mir, sondern nur mit meiner Betreuerin sprach. Sie traute mir offensichtlich nicht zu, eigenständig Angaben zu meiner Person zu machen. Und obwohl meine Betreuerin darauf verwies, dass ich die Fragen selber beantworten kann, bat die Arzthelferin meine Betreuerin ins Sprechzimmer, worauf ich im Flur stehenblieb und sie mir wie bei einem kleinen Kind auf die Schulter klopfte mit den Worten: „Sie sind natürlich auch gemeint.“ Selbstverständlich war ich gemeint. Es ging ja um meinen Arzttermin und nicht um den meiner Betreuerin. Das Schulterklopfen war mir sehr befremdlich und unangenehm, was ich mit meiner abwehrenden Reaktion auch deutlich zeigte.

Ich habe beides erfahren. Sowohl die Vorteile als auch die Nachteile eines Outings. Doch trotz der Nachteile würde ich mich immer wieder dafür entscheiden, offen mit meinem Autismus umzugehen. Aber ich akzeptiere genauso, wenn jemand sich nicht outen möchte. Es gibt sicher auch Situationen, in denen es nicht ratsam ist.
Zu einem Outing raten tue ich nur in den Fällen, wo sich ein autistisches Kind in der Schule so auffällig verhält, dass es einer Erklärung für dieses Verhalten bedarf, um dem Kind helfen zu können. Denn ohne Bekanntgabe der Diagnose gibt es nicht die Unterstützung, die ein autistisches Kind in der Schule benötigt.
Denn…

…von einem Kind im Rollstuhl wird niemand verlangen, dass es zu Fuß die Treppe hochgeht. Aber von einem autistischen Kind wird verlangt, dass es sich nichtautistisch verhält – zumindest solange die Diagnose in der Schule nicht bekannt und somit unsichtbar ist.

Autismus – weggeätzt

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Eigentlich wollte ich zu dem Thema nichts schreiben, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf ein Bleichmittel (MMS) zu lenken, welches aus den USA kommend als Medikament zur Heilung von Autismus im Internet angeboten wird.

Aber ich habe mich anders entscheiden. Weil ich es wichtig finde, dass so viele Menschen wie möglich erfahren, wie mit der Verzweiflung und Hoffnung von Eltern autistischer Kinder Geld gemacht wird mit dem Verkauf eines angeblichen Wundermittels, welches neben Aids und Krebs auch Autismus heilen soll.
Bei dem Medikament handelt es sich um MMS (Miracle Mineral Supplement), welches den Wirkstoff Chlordioxid enthält, ein industrielles Bleichmittel, das zur Desinfektion angewendet wird und angeblich alle Parasiten und Mikroben abtöten soll, ohne dabei die wichtigen Laktobakterien der Darmflora anzugreifen. Die Vertreiber des Mittels sehen Nahrungsmittelallergien, Schwermetallvergiftungen, durch Impfungen ausgelöst, Viren und schädliche Bakterien und Pilze im Darm als Ursache für Autismus, obwohl dieses wissenschaftlich nicht erwiesen ist.
In Deutschland ist MMS verboten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung rät in einer Stellungnahme vom 02.07.2012 dringend von der Einnahme von MMS ab.

Trotzdem gibt es – wie man zahlreichen Foren entnehmen kann – viele Befürworter dieses Wundermittels, die auch nicht davor zurückschrecken, in sozialen Netzwerken gezielt für das Bleichmittel zu werben und den angeblichen Erfolg anhand von Elternberichten und Videos zu demonstrieren. Verätzungsrisiken durch die Einnahme von Chlordioxid werden ausgeblendet, Gesundheitsgefährdungen als Unwissenheit der MMS-Gegner belächelt und vehement abgestritten.

Es ist unfassbar, zu welchen Mitteln Menschen greifen und wie verzweifelt Eltern sein müssen, wenn sie ihren autistischen Kindern die Einnahme von Bleichmitteln zumuten und dabei jede Gesundheitsgefahr abstreiten oder einfach nur nicht wahrhaben wollen. Dabei stellt sich mir die Frage, warum sich so viele Menschen eine Heilung von Autismus wünschen. Gerade in den USA wird Autismus häufig als Feind gesehen, den es zu bekämpfen gilt (z.B. von der Organisation Autism speaks). Offensichtlich mit allen Mitteln. Auch mit Chlordioxid.

Ich habe hier bewusst auf eine Verlinkung zu MMS-Seiten und Foren verzichtet und lediglich per Link auf die Stellungnahme des Bundesinstitutes für Risikobewertung hingewiesen, weil ich den Vertreibern und Befürworten dieses angeblichen Wundermittels nicht zusätzliche Aufmerksamkeit schenken möchte, auch, wenn es sich dabei um eine negative Aufmerksamkeit handelt.

Hinweisen möchte ich aber auf zwei Blogger, die sich ebenfalls mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben und die Unfassbarkeit aus ihrer Sicht schildern, der ich mich hier anschließen möchte.
Quergedachtes – Des Wahnsinns Kinder  
Innerwelt –  Autismus „bleaching“ – oder wo hat der Wahnsinn noch seine Grenzen? 

Was ich mir am Ende meines Betrags wünsche, ist eine flächendeckende Aufklärung über angebliche Wundermittel wie MMS und deren Gesundheitsgefährdung  – nicht nur in Blogs oder sozialen Netzwerken, sondern auch durch die Autismusverbände, die die Interessen autistischer Menschen vertreten.

!!! Wichtiger Hinweis aus gegebenem Anlass !!!

Kommentare, in denen die Gefahren der Einnahme von MMS verharmlost oder abgestritten werden und jene, die sogar Werbung für das Bleichmittel beinhalten, werden hier nicht freigeschaltet, weil ich diesem Mittel in meinem Blog  keine Plattform bieten werde.  

Update

Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen weiteren Beitrag von AutiCare.de zu dem Thema hinweisen: Autismus und Quacksalberei 

Autismus – und welche Inselbegabung haben Sie?

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Keine.
Ich habe Spezialinteressen, aber ich bin nicht inselbegabt.
Darin liegt ein großer Unterschied.
Während Spezialinteressen ein typisches Merkmal für Autismus-Spektrum-Störungen sind, haben Inselbegabungen mit Autismus nichts zu tun.

Inselbegabung oder Spezialinteressen

Menschen mit einer Inselbegabung sind Savants. So wie der von Dustin Hoffman in dem Film „Rainman“ gespielte Raymond Babbitt, für dessen Rolle der Savant Kim Peek als Vorbild diente.
Es gibt auf der Welt nur sehr wenige Savants – Schätzungen schwanken zwischen 50 und 100 Personen mit einer Inselbegabung. Fünfzig Prozent dieser Savants sind zusätzlich autistisch.
Diese Tatsache führt offensichtlich dazu, dass die Inselbegabung oft fälschlicherweise dem Autismus zugeschrieben und nicht als typisches Merkmal der Savants gesehen wird.

Viele AutistInnen haben Spezialinteressen. Im Gegensatz zu einer Inselbegabung, die sich bei einem Savant immer nur auf ein Gebiet bezieht, können Spezialinteressen bei autistischen Menschen im Laufe des Lebens wechseln und beschränken sich nicht unbedingt auf ein Fachgebiet. Da sich AutistInnen ihren Spezialinteressen einen großen Teil des Tages widmen, eignen sie sich mit der Zeit ein umfassendes Wissen über ihr Spezialinteresse an. Dieses – manchmal erstaunliche Fachwissen – wird häufig mit einer Inselbegabung verwechselt oder gleichgesetzt.

Autisten als Inselbegabte in den Medien

Gerade in der letzten Zeit häufen sich Artikel in diversen Zeitungen und Zeitschriften, in denen AutistInnen als Inselbegabte oder inselbegabte Sonderlinge beschrieben werden.
Hier ein Beispiel aus der B.Z. vom 02.06.2013:

Dafür haben viele von ihnen eine Inselbegabung. „Bei meinem Sohn war es BMX“, sagt Müller-Remus. Ricardo (heute 20) war kaum in der Lage, den Schulweg zu meistern oder Freunde zu treffen.
„Aber bei BMX-Rädern wusste er alles: Größen, Preise, Artikelnummern von Ersatzteilen, bis hin zur letzten Unterlegscheibe“, erzählt Müller-Remus, der vorher Geschäftsführer einer IT-Firma war.

Bei diesem Beispiel erkennt man sofort, dass es sich um angeeignetes Wissen handelt und nicht um eine Inselbegabung. Dennoch ist in dem Artikel von einer Inselbegabung die Rede.
Durch die Gleichsetzung oder Verwechslung von Inselbegabung und Spezialinteresse entsteht jedoch in der Gesellschaft schnell ein falsches Bild von dem, was Autismus ist. Und so passiert es dann, dass man als Mutter eines autistischen Kindes immer häufiger gefragt wird, welche Inselbegabung denn der Nachwuchs hat oder Eltern verunsichert sind, weil ihr autistisches Kind nicht über eine solche verfügt. Hier ist es wichtig, aufzuklären und klar zu unterscheiden zwischen der den Savants zugeordneten Inselbegabung und dem Spezialinteresse autistischer Menschen. Auch oder gerade in den Medien, die auf Grund ihres Einflusses auf die Meinungsbildung in der Gesellschaft eine große Verantwortung tragen, ist eine korrekte Verwendung von Fachbegriffen eine wichtige Voraussetzung, die leider sehr oft nicht erfüllt wird mit der Konsequenz, dass falsche Bilder entstehen, die zu einem Missverstehen führen.

Autisten sind keine Inselbegabten, aber Inselbegabte können zusätzlich autistisch sein

Wie bereits zu Beginn dieses Beitrages erwähnt, besteht bisher kein erwiesener kausaler Zusammenhang zwischen einer Inselbegabung und Autismus. Trotzdem wird immer wieder ein Zusammenhang hergestellt, so dass sich der Mythos vom Autisten als inselbegabtes Genie hartnäckig hält und durch zahlreiche Medienberichte noch bekräftigt wird (Inselbegabung als Sprungbrett: Autisten im Job, detektor.fm, Artikel vom 26.05.2013).

Gerade jetzt, wo fast täglich ein Bericht in den Medien zu finden ist über das Vorhaben von SAP, mehrere hundert Autisten als IT-Spezialisten einzustellen, fällt immer wieder der Begriff Inselbegabung, der sich in den Köpfen der LeserInnen festsetzt und ein falsches Bild von Autismus vermittelt. Unterstützt wird dieses noch durch die Abbildung einer Szene aus dem Film „Rainman“ in zahlreichen Artikeln über Autismus – auch im Zusammenhang mit dem Vorhaben von SAP – wie zum Beispiel in dem Artikel „SAP stellt Hunderte von Autisten ein“ im Tagesspiegel vom 22.05.2013.
Und dieses Bild von dem inselbegabten Autisten führt am Ende möglicherweise zu einer Erwartungshaltung, die kein autistischer Mensch erfüllen kann.

Bloß nicht zu nett sein! – eine Zeitung erklärt, was Autisten brauchen

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Allein die mit einem Ausrufezeichen versehene Überschrift des Artikels zum Thema Autismus und Therapie in der Zeit-Online Ausgabe vom 21. 05. 2013 lässt ahnen, dass da nichts Gutes nachkommt.

Bloß nicht – das klingt wie eine Warnung

Eine Warnung an alle, welche die Erziehung autistischer Kinder und damit auch den alltäglichen Umgang mit autistischen Menschen betrifft. Und dieser soll, wie man im nächsten Satz erfährt, nicht einfühlsam sein, sondern geprägt von Befehlen und hartem Training – einem Training, das angelehnt an die klassische Konditionierung eher Dressur als wertschätzende und achtsame Therapie ist. Der Hund bekommt sein Leckerchen, wenn er auf Anweisung brav das Stöckchen holt und das autistische Kind entsprechend des in dem Artikel angepriesenen Trainings (ABA-Therapie) Smarties oder einen Keks, wenn es einen Befehl der Eltern oder TherapeutInnen erfolgreich ausgeführt hat.

Richtig ist, dass autistische Menschen eindeutig formulierte Anweisungen benötigen, um handeln zu können. Umständliche Formulierungen hingegen führen häufig zu einem Missverstehen und damit dann nicht zu der gewünschten Reaktion.
Ein Beispiel: „Könntest du mir bitte die Tasse geben?“.
Viele AutistInnen sehen darin keine Aufforderung, sondern lediglich die Frage nach dem Tasse-Holen-Können, die sie mit einem „Ja“ beantworten, aber die Handlung selber nicht ausführen, weil das aus der gestellten Frage nicht explizit hervorgeht.
Höflichkeitsformulierungen wie „Könntest du bitte“ oder „würdest du bitte“ können aber ohne großen Aufwand umgewandelt werden in eindeutige Sätze wie „Hol mir bitte die Tasse“. Dieser Satz ist für jeden Menschen verständlich und trotz Verzichts auf den Gebrauch des Konjunktivs höflich oder – wie in der Überschrift des Artikels genannt „nett“.

Hochleistungstraining zur Steuerung des Verhaltens

Wer schon einmal eine Therapie gemacht hat, die in der Regel einmal wöchentlich 45 oder höchstens 90 Minuten stattfindet, kann sich vielleicht vorstellen, was es bedeutet, 4 bis 6 Stunden täglich therapiert zu werden. Das ist Hochleistungstraining und bedeutet Stress.
In dem Artikel wird sehr wohl darauf hingewiesen, welche Konsequenz dieses Training für die Eltern hat (Aufgabe des Berufs), aber nirgendwo findet man auch nur einen Satz darüber, was eine solche Therapie für ein Kind bedeutet. Denn abgesehen von dem zeitlichen Aufwand, stellt sich die Frage nach dem Nutzen und den Konsequenzen einer solchen Maßnahme.

Die Frage nach dem Nutzen einer auf Dressur basierten Therapie

Für die Eltern mag es ein Erfolg sein, wenn ihr Kind nach langjähriger Dressur die Fähigkeit besitzt, ein von der Gesellschaft erwünschtes (und damit nichtautistisches) Verhalten zu übernehmen. Ein Verhalten, welches für das Kind möglicherweise ein Leben lang ein großer Stressfaktor ist und irgendwann zu einem körperlichen oder psychischen Zusammenbruch führen kann, weil es seinem autistischen Sein widerspricht und nur durch eine permanente Anpassungsleistung möglich ist. Ein dressiertes Verhalten basiert niemals auf freiem Willen, sondern auf Zwang. Außerdem besteht durch die ständige Konditionierung die Gefahr der Manipulation eines Menschen – auch im Erwachsenenalter. Jemand, der in der Kindheit Verhalten nur andressiert bekommen hat, wird als erwachsener Mensch nicht oder nur sehr schwer eigenverantwortlich handeln können. Und er wird im schlimmsten Fall immer anfällig dafür sein, manipuliert zu werden.

Für die Anbieter sind solche Therapien gewinnbringend, da sie auf Grund des Zeitaufwandes sehr teuer sind und die Kosten in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen werden und damit keiner Kosten-Leistungskontrolle unterliegen. Offensichtlich sind viele verzweifelte Eltern bereit, die hohen Kosten aus eigener Tasche zu bezahlen, weil sie sich eine Minderung autistischer Verhaltensweisen versprechen bzw. eine Anpassung an nichtautistische Verhaltensmuster. Bei dem Weg dorthin spielt das Wohlergehen des Kindes offensichtlich keine oder nur eine geringe Rolle. Im Vordergrund steht der sichtbare Erfolg – wenn das Kind zum Beispiel sein Gegenüber nach langer Zeit der Konditionierung anschaut. Niemand fragt, was das Kind dabei empfindet und welchem Stress es dadurch möglicherweise ständig ausgesetzt wird.

Es gibt mittlerweile einige erwachsene AutistInnen, die diese Therapie in ihrer Kindheit durchgemacht haben (hier ein Beispiel)  und sie als Vergewaltigung bezeichnen und berichten, wie sehr sie darunter gelitten haben. Da stellt sich ganz schnell die Frage, ob jeder Erfolg die Mittel heiligt. Zumal es bisher keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse über die Effizienz der ABA-Therapie gibt.

Fest steht, dass sich Menschen offensichtlich schneller über fragwürdige Dressuren bei Tieren aufregen und dafür auf die Barrikaden gehen als sie fragwürdige Therapien in Frage stellen und sich für einen wertschätzenden und achtsamen Umgang mit autistischen Menschen einsetzen.

Und – um noch einmal auf den ersten Satz des Artikels zurückzukommen – wie sollen autistische Menschen Empathie lernen (etwas, das ihnen oft zu Unrecht abgesprochen wird) wenn man ihnen nicht einfühlsam begegnet?

Schade, dass dieser Artikel sich in erster Linie wie die Werbung für eine fragwürdige Therapie liest und wieder einmal die nicht zu Wort kommen, um die es in erster Linie geht – die AutistInnen.

+++++ Update +++++

Hier noch ein weiterer Beitrag im Blog „Realitätsfilter“, der sich mit dem heutigen Zeit-Artikel zum Thema Autismus und Therapie befasst:
Ist das noch Pavlov?

Für Anna

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In jenen Tagen

Immer noch
hängt Trauer in den Weiden
am Ufer schweigt der Boden
Risse in die Zeit

ich sitze zum Wasser
wie das Boot
der Stille
Anker gesetzt hat
zu verweilen

so treibt es mich fort
und zu den stummen Worten
deiner viel zu frühen Nacht

Du warst eine mutige, junge Frau, die sich bis zuletzt trotz schwerer Krankheit für die Rechte autistischer Menschen auf Selbstbestimmung eingesetzt hat. Danke, dass ich dir begegnet bin. Ich freue mich, dass du deinen Weg so gehen konntest, wie du es dir gewünscht hast.

 

 

Overloaded – Wenn mich der Autismus fest im Griff hat

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Es gibt Tage, Situationen oder Phasen, in denen alleine der Autismus meinen Alltag bestimmt. Mich an meine Grenzen bringt. Mich handlungsunfähig macht.
In einer solchen Phase befinde ich mich seit der Rückkehr aus dem Urlaub vor achtzehn Tagen, welche mit einem Wasserschaden in der Küche begann. Die Koffer mit schmutziger Wäsche blieben im Auto. Am liebsten möchte ich in ein Hotel gehen, bloß nicht in meiner Wohnung schlafen, die erst einmal entwässert werden muss, obwohl ich nach der achtstündigen Autofahrt viel zu müde dafür bin. Zuerst muss ich den Installateur anrufen, damit jemand dafür sorgt, dass das Wasser nicht weiter aus dem defekten Rohr auf den Fußboden plätschert.

Tagelang bin ich in meinem Handeln blockiert, kann an nichts anderes denken als an das Wasser in der Küche und die fremden Handwerker, deren wiederholte Anwesenheit mich überfordert. Vier Tage lang gibt es kein warmes Wasser, kein Duschen, kein Haare waschen.
Stattdessen Chaos – in meiner Küche und in meinem Kopf.
Während das Chaos in der Küche nach vier Tagen fast vollständig beseitigt ist, bleibt das Chaos in mir. Ich muss erst einmal wieder Struktur schaffen. Normalität. Saubere Wäsche. Rückkehr zu den Alltagsroutinen. Ruhe. Und mich auf meine Lesung vorbereiten, obwohl die Zeit dazu sehr knapp ist. Nicht nur für die Vorbereitung, sondern auch für die Freude, die unverarbeitet in mir bleibt. So wie das Chaos des Wasserschadens.

Die Veranstaltung zum Welt-Autismus-Tag in der Johannesschule in Bonn ist interessant, Aber auch sehr laut, lang und voller Eindrücke, die mich erschöpfen. Es ist nicht die Lesung, die mich anstrengt, sondern es sind die vielen Menschen, das Händeschütteln und die Gespräche mit jenen, die ich bisher nur aus dem Internet kenne und die plötzlich vor mir stehen. Wie soll ich mir ihre Gesichter merken und die dazugehörigen Namen? Wie meine Aufmerksamkeit teilen, ohne unhöflich zu erscheinen? Am Ende wird alles zu viel. Vor allen Dingen die Unruhe in dem großen Saal, die es mir unmöglich macht, dem letzten Vortrag zu folgen. Die Unruhe der Menschen überträgt sich auf meine Hände. Ich kann nicht mehr ruhig sitzen. Ich muss nach Hause, bevor ich meine Bewegungen nicht mehr kontrollieren kann.

Auf der Rückfahrt spüre ich, dass ich dringend Ruhe brauche. Viel Ruhe. Und Zeit, das Erlebte der letzten Tage erst einmal zu verarbeiten. Es ist kein Platz mehr in meinem Kopf für neue Eindrücke. Mein Körper ist verkrampft. Mein Nacken und beide Arme schmerzen. Ich muss mich zurückziehen. Abschalten. Schlafen. Wenn ich in dieser Phase nicht zur Ruhe komme, stehe ich unter einer permanenten Anspannung und muss viel Kraft aufwenden, um weiter funktionieren zu können. Jedes Geräusch, jeder Geruch ist ein Zuviel an Reizen und bringt mich an meine Grenzen.

Doch es gibt keine Ruhe, sondern stattdessen einen nächsten Stressfaktor.
Einen neunstündigen Drehtag für eine Fernsehsendung zum Thema Autismus.
Das bedeutet: fremde Menschen, Hektik und das Aufsuchen von Orten, die für mich Stress bedeuten. Ich muss reden, viel reden und immer wieder Fragen beantworten. Das kann ich aber nur, wenn ich versuche, alles andere um mich herum auszublenden und mich nur noch auf das Interview zu konzentrieren. Doch der in diesem Moment notwendige Tunnelblick funktioniert nicht, wenn die Umgebung fremd ist und die Menschen um mich herum ständig gestikulieren und ich diese Form der Kommunikation kaum verstehe. Ich bin zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage zu reagieren. Zum Glück ist sie dabei. Sie ist es auch, die Stopp sagt und mich aus der Situation herauszieht, als sie spürt, dass ich erschöpft und überfordert bin, dass nichts mehr geht und ich kurz vor einem Overload bin.
Die Fahrt mit der U-Bahn zur Hauptverkehrszeit ist ein Zuviel. Ich sitze in dem Wagen ganz hinten und habe die Augen geschlossen, um mich so zumindest vor den visuellen Reizen zu schützen. Ich bin erstarrt. Kann nur noch auf Anweisungen reagieren. Ohne diese würde ich sitzenbleiben und weiterfahren.
Am Abend bin ich zu erschöpft, um einschlafen zu können. Selbst das Hin- und Herwühlen mit dem Kopf beruhigt mich nicht. Ich weine, weil ich nicht zur Ruhe komme und diese doch so dringend benötige. Erst, nachdem ich noch eine zusätzliche, halbe Dosis meiner Beruhigungstropfen genommen habe, schlafe ich völlig verkrampft ein.

Die nächsten beiden Tage bin ich handlungsunfähig. Ich fühle mich leer. Das ist eine Steigerung der Erschöpfung und eine Phase, in der ich mich nicht mitteilen kann, weil ich mich nicht fühle und meine Gedanken erst neu ordnen muss. Ich habe mein Ich auf die Minimalfunktionen heruntergeschraubt. Was ich nun brauche, ist die Wiederherstellung der Alltagsstruktur. Normalität. Keine Abweichungen mehr.
Sogar die Bewilligung der Fernschule für meinen Sohn überfordert mich, weil sie zu einem unerwarteten Zeitpunkt kommt und wieder Veränderung bedeutet. Ich muss erst Ordnung schaffen in meine Gedanken und das Erlebte der letzten beiden Wochen verarbeiten.
Das darf nicht noch einmal durch neue Ereignisse aufgeschoben oder durcheinandergebracht werden.

Als sie mich am Freitagmorgen anruft und unseren Termin kurzfristig absagen muss, bricht alles über mir zusammen. Die gerade errichtete Alltagsstruktur ist wieder zerstört. Keine Routine – kein Halt. Ich erstarre. Bin unfähig aufzustehen und etwas zu tun.
An solchen Tagen spüre ich, wie sehr mich mein Autismus behindert. Wie er mich im Griff hat und mich im Alltag einschränkt. Manchmal bin ich wütend auf mich, dass Kleinigkeiten wie ein abgesagter Termin so ein Riesenchaos in mir auslösen können. Und noch wütender darüber, dass ich dieses Riesenchaos nicht verhindern kann.

Langsam löst sich das Erstarren und ich finde wieder Worte. Und mit den Worten einen Anfang, die Ereignisse der letzten Wochen endlich zu verarbeiten und so die Ordnung in meinem Kopf wiederherzustellen.

Offener Brief zum Welt-Autismus-Tag

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Wir sind Menschen

Es begann im Dezember mit der Berichterstattung über den Amoklauf in Newtown, die dazu führte, dass viele Autisten laut wurden, um sich Gehör zu verschaffen. Seither taucht „Autismus“ oder „autistisch sein“ immer wieder in einem völlig falschen Kontext auf.

In letzter Zeit nimmt es überhand, dass Politiker, Journalisten und Wirtschaftsbosse den Begriff Autismus missbrauchen, ohne darüber nachzudenken, welches falsche Bild dadurch von Autismus geprägt wird. Leider taucht der Begriff „autistisch“ meist im negativen Kontext auf, was ein Bemühen vieler Menschen, Autismus in der Gesellschaft bekannter zu machen, zunichte macht.
Betroffenen Menschen werden auf Grund solch schlecht recherchierter, diskriminierender und unüberlegter Aussagen mehr Vorurteile entgegen gebracht und es werden ihnen Eigenschaften zugesprochen, die mit dem, was Autismus ist, nichts mehr gemein haben.

Autisten sind Menschen mit ein paar besonderen Eigenschaften, die für die
Allgemeinheit eine Bereicherung darstellen können, sofern sich diese auf sie einlässt. Autisten sind dabei so verschieden, wie Menschen eben verschieden sind. Sie haben unterschiedliche Stärken, Schwächen, Begabungen und Interessen. Sie haben Gefühle, lieben ihre Familien und ihre Freunde. Und sie möchten geachtet und respektiert sein wie jeder andere Mensch auch.
Autisten leiden in der Regel nicht an ihrem Autismus, sondern an der Intoleranz und der fehlenden Akzeptanz ihres Umfeldes. Ja, Autisten haben Gefühle, manchmal sogar intensiver als andere. Sie können sie nur oft nicht ausdrücken. Manche Autisten zeigen ihr Innenleben reduzierter als andere. Autisten fällt kognitive Empathie oft schwer, also das reine Lesen der Gefühle anderer anhand nonverbaler Signale. Wenn sie jedoch wissen, wie sich das Gegenüber fühlt, zum Beispiel, weil es klar formuliert wurde, ist emotionale Empathie, also das Mitfühlen, meist kein Problem.
Zusammen kann es den Eindruck erwecken, dass Autisten weniger empathisch seien oder nicht an ihren Mitmenschen interessiert. Aber das ist in den meisten Fällen so nicht richtig und es verletzt Autisten oft gleichermaßen wie Nicht-Autisten, von einer Gesellschaft ausgegrenzt zu werden.

Daher ist eine breite Aufklärung über Autismus wichtig.
Dazu gehört, dass man über uns in der Presse gut recherchiert berichtet und die Begrifflichkeit korrekt anwendet.
Helfen Sie uns, über Autismus aufzuklären.
Unser Ziel ist es, dass wir miteinander reden statt übereinander.
Dass Psychiater, Psychologen, Kinderärzte, Therapeuten, Medienverantwortliche, Politiker und viele andere Menschen, die mit Autisten arbeiten oder über sie „urteilen“, sich einmal mit der Sichtweise der Autisten auseinandersetzen und davon profitieren.

Es wird Zeit, dass man endlich anfängt mit uns zu reden und nicht nur über uns.

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Offener Brief von der Protestaktion zum Weltautismustag gegen die Verwendung des Wortes „Autismus“ im Zusammenhang von Politik, Wirtschaft und Amokläufen
Download als PDF-Datei Offener Brief zum Welt-Autismus-Tag 2013
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Erklärung von Aspies e.V. zum Welt-Autismustag:
Gegen diskriminierende Darstellungen von Autisten in den Medien

2013 Yili Dunya Otizm Gunu Nedeniyle Kamuoyuna Acik Mektup

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2013 Yili Dunya Otizm Gunu Nedeniyle Kamuoyuna Acik Mektup

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Biz Insaniz

Her sey gectigimiz yilin aralik ayinda Amerika Birlesik Devletleri`nin Newtown sehrinde bir kisinin cinnet  gecirip bir okulda katliam yapmasiyla ilgili basinda cikan haberler uzerine,  cok sayida otistik insanin  seslerini duyurabilmeleri  icin girisimlerde bulunmalariyla basladi. O zamandan beri   “otizmle” ya da “otistik olmakla”  ilgili haberler tamamen carpitilarak verilmektedir.

Son zamanlarda   git gide daha fazla politikaci, gazeteci ve ekonomi patronu otizm terimini istismar ederek otizm kavraminin itibarini nasil zedeleyebileceklerini  hic dusunmeden kullanmaktadir. “Otistik” kavrami  cogunlukla olumsuz baglamlarda kullanilirken ne yazik ki otizmin toplum icerisindeki farkindaligini yaratmaya calisan pek cok insanin emegi de bu sekilde heba olmaktadir. Yetersiz arastirmalarla, ayirimci ve dusunulmeden yapilan beyanlarin sonucunda otizmden etkilenen insanlar daha fazla onyargilara maruz birakilmaktadirlar ve otizmle hic ilgisi olmayan  vasiflar onlara atfedilmektedir.

Otistikler nadir gorulen bazi ozelliklere sahip insanlardir ki toplum onlari kabul edip icine alacak olursa ona bir zenginlik katacaktir. Bununla birlikte insanlar birbirlerinden nasil farkli iseler otistikler de birbirlerinden o kadar farklidirlar. Onlarin birbirlerinden farkli guclu yanlari, zaaflari, yetenekleri ve ilgi alanlari vardir. Duygulari vardir, ailelerini ve arkadaslarini sevmektedirler. Her insan   gibi onlar da itibar edilip saygi gormeyi istemektedirler.

Otistikler genellikle otizmli oluslarindan degil aslinda cevrelerinden gordukleri hosgorusuzlukten ve  onlara  gosterilmeyen kabulden muzdariplerdir. Evet, otistiklerin de duygulari var hatta bazen baskalarindan dahi daha yogun duygulari vardir. Ancak bu duygularini genellikle ifade edememektedirler. Bazi otistikler ic dunyalarini baskalarindan daha az gosterirler. Bilissel (kognitif) empati yani   sozlu olmayan sinyallerden baskalarinin duygularini okuyup anlamak otistiklere cogu zaman zor gelir. Ancak muhataplarina ait duygularin  acikca formule edilmesi halindeyse duygusal empati yani  onlarin duygularini paylasmalari cogunlukla bir sorun teskil etmemektedir.

Bu halleriyle otistikler daha az empatik ya da birlikte yasadiklari insanlara ilgisiz olduklari itibarini uyandirabilirler. Ancak bu cogu zaman dogru degildir ve toplum tarafindan dislanmak otistik olmayan insanlari ne kadar yaraliyorsa otistikleri de o kadar yaralamaktadir.

Bu nedenle otizm hakkinda genis kapsamli aydinlatici bilgilerin verilmesi onemlidir. Buna basinin hakkimizda iyi arastirmalar yaparak haberler vermesi ve otizm kavraminin dogru kullanimi da dahildir. Otizm konusunda aydinlatici bilgiler vermek icin bize yardimci olunuz. Amacimiz birbirimiz hakkinda degil birbirlerimizle konusabilmektir. Amacimiz psikiyatristlerin, psikologlarin, terapistlerin, basin yetkililerinin, politikacilarin ve otistiklerle birlikte calisan ya da onlar hakkinda kararlar veren pek cok baska insanlarin bir kere de otistiklerin goruslerine vakif olup  bunlardan yararlanmalarini saglamaktir.

Sadece  bizim hakkimizda konusmak yerine bizimle konusmanizin  zamani coktan gelip  gecmektedir.

Copyright by Protestaktion zum Weltautismustag gegen dieVerwendung des Wortes „Autismus“ im Zusammenhang von Politik, Wirtschaft und Amokläufen
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Open Letter to the World Autism Awareness Day 2013

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We are people

 It all started back in December with the reports about the school shooting in Newtown, that led to a lot of autistic people speaking out for themselves. Since then „autism“ pops up again and again, but in the wrong context.

Lately politicians, journalists and business CEO´s over excessively use the term „autism“ without thinking about the wrong picture they portray. Unfortunately the term „autistic“ often shows up in a negative context, which destroys the effort of many who try to bring awareness and understanding to the subject. The result is that people with autism are discriminated and subjected to the prejudice falsely associated with autism.

Autistic people are people with unique traits , who can enrich society as a whole if there are open minds. Autistic people are as diverse as people are and they have different strengths, weaknesses, skills and interests. They have feelings, they love their families and friends and they want to be acknowledged and respected like every other person.

Autistic people usually don’t suffer from their condition but from the intolerance and lack of acceptance from their surroundings. Yes indeed, autistic people have feelings, sometimes even more acute than others, but at times it is difficult for them to display them. Some autistic people show their emotions in a more subtle way, they often have trouble showing cognitive empathy, which is the sensing of non verbal signals when it comes to other peoples feelings. But when they are aware of the next persons feelings, because they have been mentioned, the emotional empathy is often not a problem anymore.

All together one could get the impression that autistic people are less empathetic or simply not interested in in their fellow people. In most cases that is not the actual situation and it hurts both parties when they get excluded from society.

That is why a precise and clear understanding of autism is essential. With that said the media should do a concise study and use the term in a correct context.

Help us to raise awareness about autism.
It is our goal to communicate instead of talking about each other, so that psychotherapists, psychologists, pediatricians, therapists, the media, politicians and a lot of others who work with autistic people or „judge them“ will be able to see it out of the perspective of an autistic person and benefit from that.

It is time people start talking with us, not about us.

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