“Der Autismus an sich ist keine Hölle. Die Hölle entsteht erst durch eine Gesellschaft, die sich weigert, Menschen zu akzeptieren, die anders sind als die Norm, oder diese Menschen zur Anpassung zwingen will.“
Dieses Zitat von Jasmine O´Neill beschreibt leider auch heute immer noch bittere Realität. Anderssein bleibt in unserer Gesellschaft nicht erwünscht. Wer nicht der Norm entspricht, wird ausgegrenzt oder zur Anpassung gezwungen. Selbst Inklusion scheint nur dann zu funktionieren, wenn sich der behinderte Mensch anpasst. Gerade dann, wenn die Behinderung in erster Linie aus Verhaltensauffälligkeiten besteht. Anderes, der Norm abweichendes Verhalten ist unerwünscht und muss therapiert werden. Mit dieser Einstellung werde ich im Alltag immer wieder konfrontiert, vor allen Dingen als Mutter eines autistischen Kindes mit herausforderndem Verhalten.
Als ich am 12. Dezember 2011 einen Beitrag zum Thema „Autismus und Inklusion“ schrieb, hoffte ich, dass sich die Situation mit wachsender Aktualität des Inklusionsgedankens ändern würde, wenn Menschen begännen, sich intensiv mit dem Thema auseinander zu setzen und Voraussetzungen zu schaffen, damit Inklusion gelingen kann. Aber es hat sich nichts geändert. Oder zumindest viel zu wenig.
Das Scheitern von Inklusion wird weiterhin einer mangelnden Bereitschaft zur Anpassung und dem fehlenden Willen zum Dazugehörenwollen zugrunde gelegt. Ich stelle mir schon seit einiger Zeit die Frage, ob ich unter diesen Voraussetzungen überhaupt dazugehören will. Dazugehören will zu einer Gesellschaft, die permanente Anpassung verlangt als Bedingung, akzeptiert zu werden.
Ich habe drei Jahre lang eine Therapie gemacht. Eine Therapie, in der es um meine Bedürfnisse ging. Eine Therapie, die nicht darauf basierte, mich an die nichtautistische Welt anzupassen, sondern darum, mich in dieser Welt besser zurecht zu finden, ohne ständig über meine Grenzen zu gehen und überfordert zu sein. Eine Therapie, in der ich gelernt habe, „Nein“ zu sagen und auf mich zu achten, mich und mein Anderssein zu akzeptieren.
Leider haben viele Autismustherapien andere Inhalte. Da geht es in erster Linie um Anpassung, um Konditionierung mit dem Ziel, unerwünschtes Verhalten zu unterbinden und erwünschtes Verhalten regelrecht anzutrainieren. Ein von der Gesellschaft erwünschtes Verhalten zu erzielen, ist für AutistInnen aber in der Regel ein Zwang zur Anpassung, der einen großen Leidensdruck erzeugt und nur mit einem Verlust der eigenen Identität möglich ist.
Angepasst in einer Gesellschaft zu funktionieren, ist für die Gesellschaft der einzig angestrebte und bequeme Weg, für AutistInnen endet er oft in einer permanenten Überforderung und daraus resultierend in Begleiterkrankungen wie einer Depression.
Therapien sollten sich nicht an den Forderungen einer Gesellschaft orientieren, die Anderssein nicht akzeptiert. Der Grundgedanke der Inklusion basiert schließlich nicht auf Gleichmacherei, sondern auf der Akzeptanz von Vielfalt. Aber wer Menschen permanent zur Anpassung zwingt, grenzt Vielfalt aus, weil er diese mit allen Mitteln verhindern will.
Eine Therapie soll dem Menschen helfen, der eine Therapie macht. Nur dann kann sie sinnvoll und vor allen Dingen am Ende erfolgreich sein. Eine Therapie kann Autismus nicht heilen, weil Autismus nicht heilbar ist. Leider gibt es viele Eltern autistischer Kinder, die sich eine Heilung wünschen und dafür alles tun würden und auch nicht vor fragwürdigen Therapieformen zurückschrecken. Und es gibt leider immer wieder Menschen, die aus dem Anbieten dubioser Therapien Kapital schlagen und dabei keine Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse autistischer Menschen und darauf, ob sie ihnen möglicherweise großes Leid mit diesen Therapien zufügen.
In den Medien heißt es oft, dass ein Mensch an oder unter Autismus leidet.
Ich leide nicht an meinem Autismus und schon gar nicht unter meinem Autismus, was bedeuten würde, dass der Autismus über mir steht und mich erdrückt.
Wenn ich leide, dann nur darunter, dass die Gesellschaft Autismus immer noch nicht akzeptiert und autistische Menschen nach wie vor zur Anpassung zwingen will. Auch im Zeitalter der Inklusion.