Bei vielen Menschen ist das Streben nach Gruppenkonformität sehr ausgeprägt.
Dementsprechend orientiert sich ihr Verhalten an der Gesellschaft bzw. einer Gruppe innerhalb der Gesellschaft und dort wiederum an deren geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze.
Den meisten Menschen mit Autismus fällt dies besonders im Hinblick auf die ungeschriebenen Regeln sehr schwer, weil sie jene im Zusammenleben innerhalb ihres sozialen Umfeldes häufig gar nicht kennen und sich infolgedessen in vielen Situationen nicht gruppenkonform verhalten, was sie sehr schnell zu Außenseitern innerhalb einer Gruppe werden lässt.
Ich habe diese Erfahrung in der Vergangenheit häufig machen müssen, obwohl ich seit meiner Kindheit sehr bemüht war, mich in eine Gruppe einzufügen, damit mein immer schon vorhandenes Anderssein nicht auffiel.
Aber an den ungeschriebenen Gesetzen bin ich wieder und wieder gescheitert und damit am Ende auch an der von mir so sehr angestrebten Gruppenkonformität.
Konformität hat einen oft sehr hohen Preis, gerade, wenn man anders ist, weil man unter den Voraussetzungen in der Regel viel mehr Kraft verbraucht, um sich einem sozialen Gefüge anzupassen und sich dessen ungeschriebenen Gesetzen entsprechend zu verhalten.
Im Folgenden möchte ich einige Punkte aufzählen, die sich als mögliche Konsequenz daraus ergeben können:
- Das Gefühl, ständig eine Rolle spielen zu müssen, um gruppenkonform zu sein bis hin zur Aufgabe der eigenen Persönlichkeit
- Übernahme einer Außenseiterrolle innerhalb der Gruppe
- Das Gefühl mangelnder Zugehörigkeit
- Angst vor Zurückweisung und Ausgrenzung
- Herabsetzung des Selbstwertgefühls durch Kritik anderer an dem eigenen, unbeabsichtigten Fehlverhalten in sozialen Situationen
- Überforderung durch permanente Anpassung (Entstehen psychosomatischer Störungen – im schlimmsten Fall Burnout oder Depression)
- Rückzug (in der Regel zeitlich begrenzt, aber im Extremfall auch permanent möglich)
- Verlust von Individualität
Daraus resultierend stellt sich die Frage, ob und in welchem Masse Konformität nötig ist, um Akzeptanz innerhalb einer Gruppe oder Gesellschaft zu erfahren.
Das wiederum hängt zu einem erheblichen Teil von der jeweiligen Gruppe ab und deren Bereitschaft, sich auf das Anderssein eines Menschen einzulassen und diesen so anzunehmen, wie er ist. Ein Mensch, der anders ist, kann auch eine Bereicherung für eine Gruppe sein, solange er nicht absichtlich oder aus Ignoranz gegen grundlegende Regeln einer Gemeinschaft verstößt.
Voraussetzung hierfür ist natürlich, das der Betreffende selber sein Anderssein annehmen kann und dazu steht. Anders zu sein verlangt Mut und ist in einer Gesellschaft, in der Gruppenzwang und Konformität eine große Rolle spielen, nicht einfach.
Ich möchte das Anderssein einmal aus einem Blickwinkel betrachten, welcher die positiven Aspekte hervorhebt, von denen eine Gruppe profitieren kann.
- Jeder Mensch ist einzigartig und anders als alle anderen. Es gibt nicht zwei Menschen, die genau gleich sind.
- Erst die Individualität der einzelnen Mitglieder macht eine Gruppe interessant.
- Ein Mensch, der innerhalb der Gruppe durch sein Anderssein aus dem Rahmen fällt, ist eine Herausforderung, an der die Gruppe wachsen kann.
- Menschen, die anders sind, sind interessant und bringen neue Ideen und Gedanken mit in die Gruppe.
- Anderssein kann Toleranz und gegenseitige Akzeptanz in einer Gruppe fördern.
- Die eigene Persönlichkeit zu wahren ist wichtiger als Gruppenkonformität, die nur durch Anpassung erzeugt werden kann.
Diese Sichtweise mit in meine Gedanken und mein Verhalten innerhalb einer Gruppe einzubeziehen gelingt mir allerdings auch erst seit meiner Diagnose Ende letzten Jahres.
Bis dahin war mein primäres Ziel eine möglichst genaue Anpassung an die jeweilige Gruppe, um nicht aufzufallen, weil es keine Erklärung für mein Anderssein gab.
Heute ist das anders und ich bin sehr froh darüber, weil die Diagnose mir die Möglichkeit gab und weiterhin gibt, mich kennen zu lernen und anzunehmen und mich – unabhängig von jeder Gruppe – als jenen Menschen zu sehen, der ich bin und dies schließt auch mein Anderssein ein, welches ich jahrelang versucht habe zu verbergen.
Ein Zugehörigkeitsgefühl finde ich in den Gruppen, die ich mir ausgesucht habe, weil sie zu mir passen und nicht mehr dort, wo ich mich passend machen muss – zum Beispiel in der Selbsthilfegruppe für Erwachsene mit Asperger-Syndrom.
Konformität ist etwas, das es in einem gewissen Mass sicher geben muss, damit eine Gesellschaft als Gruppe von vielen Menschen existieren kann und nicht auseinander fällt.
Aber ich muss als einzelnes Mitglied nicht hundertprozentig konform sein, um einen Platz in der Gesellschaft zu haben und als Mensch mit meinem Anderssein respektiert und akzeptiert zu werden.