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Asperger-Syndrom, Autismus, Freude ist wie ein großer Hüpfball in meinem Bauch, HPZ Zülpich, Pubertät
Vorstellung meines Buches beim Vortrag „Autismus und Pubertät“
am 29. Juni 2012 im HPZ Zülpich-Bürvenich.
07 Samstag Jul 2012
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Asperger-Syndrom, Autismus, Freude ist wie ein großer Hüpfball in meinem Bauch, HPZ Zülpich, Pubertät
Vorstellung meines Buches beim Vortrag „Autismus und Pubertät“
am 29. Juni 2012 im HPZ Zülpich-Bürvenich.
15 Sonntag Aug 2010
Posted Kindheit, Persönliches
inSchlagwörter
Asperger-Syndrom, Autismus, Erwachsensein, Kindheit, Pubertät
Zum ersten Mal in meinem Leben begegnete ich in einem Buch von Bruno Bettelheim auf der Suche nach einem Grund für mein abendliches Wühlritual dem Wort „Autismus“ als Folge emotionaler Vernachlässigung durch die Eltern.
Diese Definition erschreckte und verunsicherte mich sehr und sorgte dafür, dass ich mich mit Autismus nicht weiter auseinandersetzte, weil dieser Dinge voraussetzte, die bei mir definitiv nicht gegeben waren. Meine Eltern hatten mich in meiner Kindheit nicht vernachlässigt. So legte ich etwas beiseite, was zu mir gehörte, von dem ich aber in dem Moment nicht ahnte, dass es die wesentliche Erklärung für mein Anderssein war.
Ich war siebzehn und litt in der Zeit unter zahlreichen psychosomatischen Beschwerden.
Am schlimmsten waren die Magenschmerzen, die eine Zeitlang sogar medikamentös behandelt wurden.
Ich hatte große Angst davor, erwachsen zu werden. Und diese Angst wuchs, je mehr ich mich dem Abitur näherte und damit dem Beginn eines neuen, unbekannten Lebensabschnittes.
Da es nur einen einzigen Beruf gab, von dem ich eine klare Vorstellung hatte, entschied ich mich dazu, Gymnasiallehrerin zu werden und zu studieren. Das Studium würde eine Fortsetzung der Schulzeit sein, also etwas, was mir nicht fremd war. Zumindest ging ich davon aus.
Meine Eltern unterstützten mich in meinem Vorhaben und waren stolz darauf, dass ich mich zu einem Studium entschlossen hatte.
Den Status Studentin setzte ich damit gleich, weiterhin zuhause in der gewohnten Umgebung zu bleiben und den Einstieg ins Berufsleben noch um einige Jahre hinauszögern zu können.
Dieser Gedanke beruhigte mich und gab mir Sicherheit. Alles würde so bleiben wie es war.
Äußerlich war ich mittlerweile eine junge Frau geworden, was mir jeden Tag bewusst wurde, wenn ich in den Spiegel sah. Aber tief in mir und in meiner Welt war ich noch ein Kind und wollte es auch für immer bleiben, denn mein kindliches Gefühlserleben passte weder zu der kognitiven Reife noch zu dem Körper, in dem ich steckte.
Viele meiner ehemaligen Klassenkameradinnen lebten bereits in einer festen Beziehung, waren von zuhause in eine eigene Wohnung gezogen, studierten in einer fremden Stadt oder machten eine Berufsausbildung. Einige von ihnen hatten noch während der Schulzeit ihren Führerschein gemacht und besaßen mittlerweile einen kleinen Gebrauchtwagen.
Vor alldem hatte ich große Angst, weil es Veränderung bedeutete.
Das Leben in der Welt der Erwachsenen war unvorhersehbar und ich wusste nicht, was in den folgenden Jahren auf mich zukommen würde.
Ich hatte eine Freundin, mit der ich vieles gemeinsam unternahm und meinen ersten Urlaub ohne Eltern in Tunesien verbrachte.
Zum Glück machte es ihr nichts aus, über viele Jahre hinweg jedes Wochenende auf die gleiche Art und Weise mit mir zu verbringen. Unsere Discobesuche waren ein Ritual, welches immer nach dem gleichen Muster ablief und mir Sicherheit gab.
Ich mochte die laute Musik, obwohl ich Lärm sonst nur schwer ertragen konnte.
Sie ermöglichte es mir, meinen Körper zu spüren und mich nach ihrem Rhythmus so zu bewegen, dass sich alles um mich herum drehte, so, wie ich es als kleines Mädchen schon gerne getan hatte. Außerdem verhinderte die Lautstärke der Musik jegliche Kommunikation mit anderen Gästen, welche für mich immer schwierig war. Sprach uns doch einmal jemand an, zog ich mich schnell zurück und überließ meiner Freundin, die offensichtlich kein Problem mit dem Smalltalk hatte, die Konversation.
Manchmal beobachtete ich sie beim Flirten, jener Form nonverbaler Kommunikation, die mir auf Grund meiner mangelnden Fähigkeit, Blickkontakte herzustellen, fast unmöglich war.
In diesen Momenten wurde mir mein Anderssein wieder bewusst. Denn obwohl ich versuchte, das Verhalten meiner Freundin zu kopieren, gelang mir dies fast nie.
Was das Kennenlernen von jungen Männern betraf, hatte ich eine sehr kindlich-naive Vorstellung, die sich nur in meinen Gedanken realisieren ließ.
Das sehr forsche und für meinen Begriff häufig schon aufdringliche Verhalten des anderen Geschlechts verunsicherte mich. Den Wunsch der meisten Männer nach einer verführerischen, jungen Frau konnte ich nicht erfüllen, was Enttäuschungen auf beiden Seiten zur Folge hatte.
Mehr als ein erstes Rendezvous kam in der Regel nicht zustande, weil ich ein Zuviel an Berührungen nicht ertragen konnte und mich entsprechend ablehnend verhielt, was mir den Ruf einbrachte, zickig und verklemmt zu sein.
Beziehungen waren für mich mit so vielen Komplikationen verbunden, dass ich ständig daran scheiterte. Ich begriff die vielen nonverbalen Signale nicht, die sowohl bei der Kontaktherstellung, dem Flirten, als auch später in der Partnerschaft eine wichtige Rolle in der Kommunikation und dem gegenseitigen Verstehen spielten. Ich hatte immer das Gefühl, dass eine Wand zwischen mir und meinem Gegenüber stand, die Nähe verhinderte und stattdessen eine Nähelosigkeit entstehen ließ, der ich nicht entkommen konnte.
Immer wieder versuchte ich, mich in den vielen Büchern, die ich las, wieder zu finden, aber ich fand keines, in welchem die Beschreibung eines Menschen auch nur annähernd auf mich gepasst hätte. So kreisten meine Gedanken weiterhin um mein Anderssein, ohne eine Antwort auf die vielen Fragen zu erhalten. Ich war und bleib eine Fremde.
07 Samstag Aug 2010
Posted Kindheit, Persönliches
inSchlagwörter
Anderssein, Angst, Asperger-Syndrom, Autismus, Kindheit, Pubertät, Veränderungen
Teil 1
Ich wollte nicht erwachsen werden.
Die Vorstellung, irgendwann volljährig und eine Frau zu sein, machte mir in vielfältiger Hinsicht Angst. Ich liebte meine Kinderwelt und die imaginären Freunde, die das Leben darin mit mir teilten.
Zuhause fühlte ich mich sicher und geborgen. Auch, wenn ich nicht immer begreifen konnte, was um mich herum geschah, war mein Zuhause der Ort, wohin ich mich immer zurückziehen konnte, wenn mir das Leben draußen zu viel wurde und ich mich nach Ruhe und Geborgenheit sehnte.
Ich liebte meine Eltern, obwohl mir ihre Welt häufig fremd und ihr Verhalten dadurch unvorhersehbar war. Obwohl sie mein Anderssein verdrängten, akzeptierten und liebten sie mich im Grunde doch so, wie ich war.
Ich konnte mir nicht vorstellen, eines Tages selber eine Familie zu gründen und nicht mehr bei meinen Eltern zu wohnen, die jene Dinge selbstverständlich für mich erledigten, welche ich nicht alleine zu bewältigen vermochte und die mich dort unterstützten, wo ich Hilfe benötigte, ohne jene Frage nach dem „Warum“ zu stellen, die ich ihnen nicht hätte beantworten können.
Jede Form von Veränderung löste große Ängste in mir aus.
Infolgedessen fürchtete ich mich auch vor den körperlichen Veränderungen, welche die Pubertät zwangsläufig mit sich bringen würde. Ich wollte, dass alles so blieb, wie es war – auch an mir und meinem Körper. Ich wollte keinen BH tragen müssen, weil diese eng am Körper direkt auf der Haut liegen und dadurch mein körperliches Wohlbefinden massiv beeinträchtigen würden. Ich war überempfindlich, was das Tragen von Kleidungsstücken betraf und bevorzugte weite, körperferne Kleidung aus anschmiegsamen Stoffen, die mich nicht kratzte oder mit Gummizügen und Nähten versehen war, die mir Schmerzen zufügten und mich unruhig werden ließen, sobald sie mit meinem Körper in Berührung kamen.
Im Vergleich zu einer Hose oder eines Rockes erschien mir ein BH als ein wahres Folterinstrument, welches ich niemals tragen wollte und auch erst sehr spät (Mitte der 80-er Jahre im Alter von über 20 Jahren) zu tragen begonnen habe.
Ebenso wenig gefiel mir die Vorstellung einer zunehmenden Körperbehaarung, welche ich einfach ignorierte. Erst als ich bereits über 30 Jahre alt war, begann ich damit, mir die Beine zu rasieren – allerdings auch nur in sehr unregelmäßigen Abständen, weil mir solche Berührungen sehr unangenehm waren und geblieben sind.
Je älter ich wurde, desto mehr wurde ein erwachsenes Benehmen von mir erwartet.
Mein oft kindliches Verhalten stand dazu in einem krassen Gegensatz.
Ich war verspielt und fühlte mich in dieser Rolle wohl.
Trotz meiner überdurchschnittlichen Körpergröße wurde ich von den meisten Menschen jünger geschätzt als ich es in Wirklichkeit war.
Durch meine wenig körperbetonte sondern eher saloppe Kleidung, die kurzen, widerspenstigen Haare und den schlaksigen Gang wurde ich zu Beginn der Pubertät oft für einen Jungen gehalten. Ich war nicht neugierig darauf, mich zu schminken, so, wie es viele meiner Klassenkameradinnen taten. Erst, als ich mit einer starken Akne zu kämpfen hatte, versuchte ich, die Pickel mit einem dicken, schwefelhaltigen Make-up Puder zu überdecken, was – im Nachhinein gesehen – ungewollt sehr auffällig war, aber nicht schön aussah. Ich fühlte mich nicht wohl in einem Körper, der zu etwas wurde, was ich nicht werden wollte – zu einer Frau.
Während das Aussehen in der Kindheit eine unwesentliche Rolle gespielt hatte, war dies in der Pubertät umso mehr der Fall. Die Beliebtheit eines jungen Mädchens hing zu einem großen Teil von der Attraktivität seiner äußeren Erscheinung ab.
Mädchen wurden zu Konkurrentinnen und versuchten sich gegenseitig in ihrem Aussehen zu übertreffen. Mit diesem Verhalten konnte ich überhaupt nichts anfangen. Ebenso wenig mit dem beginnenden Markenbewusstsein. Mir war es gleichgültig, welche Firma meine Schuhe herstellte. Die Hauptsache, sie waren bequem und drückten nicht.
Modische, enge Schuhe mit hohem Absatz kamen für mich sowieso nicht in Frage, weil ich darin nicht hätte laufen können. Ich hatte keinen damenhaften Gang, wie meine Mutter es früher nannte. So trug ich selbst zu Röcken immer flache und weite Schuhe, derweil die anderen jungen Mädchen – vor allen Dingen jene in der Tanzschule – um jeden Zentimeter Absatz wetteiferten.
Mode und Kleidung war für mich im Gegensatz zu den meisten anderen Mädchen kein Gesprächsthema. Auch die neuesten Frisuren interessierten mich nicht, zumal ich selten zum Friseur ging. Ein Haarschnitt musste praktisch sein, damit ich morgens im Badezimmer schnell fertig war. Durch das abendliche „mit dem Kopf im Kissen wühlen“-Ritual brauchte ich schon lang genug, am nächsten Tag die Knoten aus meinen Haaren zu entfernen.
Die meisten Mädchen, die ich kannte, suchten ihre neue Identität in Modezeitschriften und Boutiquen. In war, wer die neuesten Modetrends mitmachte und für bestimmte Musiker schwärmte. Da gab es nur wenige Ausnahmen.
Ich versuchte – zu dem Zeitpunkt vergeblich – mein Ich und damit eine Erklärung für mein Anderssein, in zahlreichen Büchern zu finden.
07 Montag Jun 2010
Posted Kindheit
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Anderssein, Asperger-Syndrom, Hänseleien, Kindheit, Pubertät
„Huhu, Brillenschlange, hier sind wir. Du kriegst uns sowieso nicht!“
Ich mochte nicht, dass sie mich so nannten, nur, weil ich eine Brille trug, die mir oft selber lästig war, weil ich sie ständig auf der Nase spürte. Genauso wenig wusste ich, warum sie sich darüber lustig machten, dass ich nicht so schnell laufen konnte wie sie.
Dafür schrieb ich fehlerfreie Diktate und konnte viel besser rechnen als sie.
Ich wünschte mir, auf meinem Zimmer bei meinen Büchern sein zu können.
Dann müsste ich ihre Hänseleien nicht ertragen, die mir in den Ohren weh taten.
Manchmal stand ich zuhause vor dem großen Spiegel im Flur und betrachtete das Bild von mir, das ich darin sah. Es sah ganz anders aus als jenes, welches ich in meinem Kopf hatte und erschien mir eigenartig und fremd.
Ich mochte es nicht besonders.
Ich mochte mich nicht besonders, weil ich eine Brillenschlange war.
Zumindest sagten sie das immer wieder zu mir.
Es machte mich traurig, aber ich konnte nichts dagegen unternehmen.
Ich schwieg und ertrug ihre Hänseleien.
Sie waren nicht die einzigen, denen mein Anderssein auffiel und die dieses auch laut aussprachen.
„Sehen Sie nicht, dass ihre Tochter einen Wasserkopf hat?“
Das hatte die Ärztin beim Einschulungstest zu meiner Mutter gesagt.
Offensichtlich entsprach ich, wie bei so vielen Dingen, auch hinsichtlich der Kopfgröße nicht der Norm. Dass ich einen sehr großen Kopf hatte, wusste ich, weil mir die meisten Mützen zu klein waren und die Kinderhüte, die ich so schön fand, nicht passten. Aber dass ich einen Wasserkopf haben sollte? Ich wusste nicht einmal, was das war und es machte mir Angst.
Später wurde ich deswegen gehänselt und die Kinder auf der Straße riefen mir
„Wasserkopf, Wasserkopf!“ hinterher und lachten.
Ich konnte mich nicht einmal dagegen wehren.
Schließlich hatte ja genau das auch die Ärztin in der Schule zu meiner Mutter gesagt.
Aber ich bot noch mehr Anlass, sich über mich lustig zu machen.
Da waren meine motorische Ungeschicklichkeit und mein merkwürdiger Gang, mit nach innen gerichteten Füßen, die dafür sorgten, dass ich häufig stolperte, sowie meine Schwierigkeit, Entfernungen abzuschätzen, die immer wieder Auslöser dafür war, dass ich irgendwo gegen lief oder mich an Möbeln oder Türrahmen stieß.
Dass ich nicht besonders sportlich und eher ungelenk war, führte später im Sportunterricht dazu, dass mich niemand im Team haben wollte, wenn wir einen Mannschaftssport spielten und ich immer bis zuletzt übrig blieb, wenn Teammitglieder ausgewählt wurden.
Dieses Verhalten verletzte mich zutiefst, aber ich wusste nicht, was ich hätte dagegen machen sollen. Also schwieg ich und ließ alle Hänseleien still über mich ergehen oder schwänzte später als Jugendliche den Sportunterricht, sooft es möglich war, obwohl ich diesbezüglich ein schlechtes Gewissen und Angst vor einer möglichen Strafe hatte.
Am schlimmsten war für mich, wenn sie in den Bereich eindrangen, der mir wie ein Heiligtum war – mein Wissen. Das war ein Gebiet, auf dem ich besser war als die meisten Gleichaltrigen und in das ich mich zurückzog, wenn ich ihre ständigen Hänseleien nicht mehr ertragen konnte. Als sie auch hier anfingen, sich über mich lustig zu machen und mir „Olle Streberin“ hinterher zu rufen, war ich sehr verzweifelt und verletzt.
Ich spürte immer mehr, dass ich allein und anders war in meiner Art zu sein.
Nur gab es keine Erklärung dafür, außer den vielen Auffälligkeiten, über die zuhause niemand sprach.
„Du bist doch in Ordnung, so wie du bist.“
Die Worte konnten mich nicht mehr trösten, weil ich längst wusste, dass sie nicht wahr waren.
Offensichtlich war vieles an mir nicht in Ordnung. Sonst hätten andere mich nicht immer wieder mit ihren Hänseleien darauf aufmerksam gemacht.
Im Teenageralter wurde es noch schlimmer.
Ich war ein pubertärer Spätzünder und sehr naiv und zurückhaltend im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Das Verhalten meiner Mitschülerinnen empfand ich ebenso merkwürdig wie das der Jungen, welches mich zusätzlich erschreckte und verunsicherte, weil sie eine körperliche Nähe suchten, vor der ich mich fürchtete und der ich aus dem Weg ging.
Zuerst war ich in den Augen der anderen ein Baby, weil ich noch mit Puppen spielte, als sie schon ihre ersten Freunde hatten und später die, die keinen abbekam, weil sie sich so merkwürdig verhielt und hässlich wegen der Pickel und unscheinbar wegen ihrer Art, sich zu kleiden, war.
„Du kannst doch dem Kind mit den krummen Beinen und dem seltsamen Gang keinen Rock anziehen.“
Nichts an mir schien in irgendeiner Art und Weise der Norm zu entsprechen.
Meine Ängste wurden immer größer, dass ich nicht normal sein könnte.
Es gab ja zusätzlich zu all dem noch viele Dinge, die niemand wusste und über die ich auch mit niemandem sprach. Am Ende hätte man mich noch für verrückt gehalten, weil ich Geräusche und Berührungen nicht ertragen konnte, Selbstgespräche führte und mich seit meiner Kindheit abends mit stundenlangen, monotonen Kopfbewegungen in den Schlaf wühlte.
Am schlimmsten aber war, dass ich das Verhalten der Menschen oft nicht verstand und mir vieles im Alltag fremd und beängstigend erschien.
Ich hoffte nur, dass die Menschen eines Tages aufhören würden, mich zu hänseln und über mich zu lachen, nur, weil ich anders als sie war.
20 Mittwoch Jan 2010
Posted Kindheit, Persönliches
inSchlagwörter
Angst, Asperger-Syndrom, Autismus, Berührung, Liebe, Nähe, Pubertät, Unvorhersehbarkeit
Das Interesse daran, mich einmal mit einem Jungen zu verabreden, wurde bei mir später geweckt als bei den gleichaltrigen Klassenkameradinnen. Während diese schon geschminkt zu Schule kamen und bald nur noch ein einziges Gesprächsthema – die Liebe bzw. das, was sie darunter verstanden – hatten, spielte ich zuhause noch mit meinen Puppen.
Diese Welt gab mir Sicherheit. Die Welt der Teenager war ein fremdes Terrain, welches ich nicht betreten wollte. Das veränderte Verhalten zwischen Jungen und Mädchen machte mir Angst. Ihr Handeln war plötzlich unvorhersehbar und ich wusste nicht damit umzugehen.
Hinzu kam, dass sich auch mein Körper veränderte und ich mich darin unwohl fühlte.
Ich war kein hübscher Teenager mit den vielen Pickeln im Gesicht und der tollpatschigen Art, mich zu bewegen. Mein Gesichtsausdruck war ernst, was mir gar nicht auffiel, wenn ich in den Spiegel sah. Dass ich Schwierigkeiten damit hatte, anderen Menschen in die Augen zu sehen, wurde häufig als Desinteresse an der Kommunikation missverstanden.
Warum das Hauptaugenmerk mit einem Mal auf dem Aussehen eines Menschen lag und er häufig nur noch danach beurteilt wurde, erschloss sich mir nicht.
Wieder einmal spürte ich, dass ich offensichtlich anders war als meine Altersgenossinnen.
Während sie aufgeregt von ihren ersten sexuellen Erlebnissen erzählten und untereinander damit prahlten, fand ich den Gedanken, von einem fremden Jungen angefasst und geküsst zu werden, beängstigend und abstoßend. Das Gefühl, verliebt zu sein, verband ich mit dem Wunsch, einen Jungen gerne zu sehen, mit ihm zu sprechen und etwas gemeinsam zu unternehmen. Das war mir Nähe genug. Mehr wollte ich nicht.
Meine Vorstellung von der Liebe war eine sehr naive und ist es bis heute auch in wesentlichen Bereichen geblieben. Ihre Spielregeln waren kompliziert und kognitiv nicht zu erfassen, weil ein großer Teil von ihnen aus non-verbaler Kommunikation bestand, die ich nicht zu deuten wusste.
Selbst das offenkundige Interesse eines Jungen an mir konnte ich weder an seinen Blicken noch an Gesten ausmachen, weil ich diese nicht wahrnahm. Annäherungsversuchen durch Körperkontakt ging ich aus dem Weg, weil sie mir unangenehm waren und ich nicht wusste, wie ich mich dagegen wehren konnte. Dementsprechend löste der erste Kuss eine Panik in mir aus, die mich zutiefst verunsicherte und dazu führte, dass ich weglief und diesen Jungen nie wieder sehen wollte. Ich baute eine Mauer um mich herum, in der Hoffnung, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen würde und wünschte mir einen Menschen, der zurückhaltend war und ähnlich empfand wie ich. Leider bin ich diesem Menschen bis heute nicht begegnet.
Während meine Mitschülerinnen nach und nach einen festen Freund hatten, gehörte ich zu den wenigen Mädchen, die alleine blieben. Ich verbrachte die meiste Zeit zuhause mit meinen Büchern, in denen ich immer häufiger nach den Gründen für mein Anderssein suchte.
Da ich – um nicht aufzufallen – genauso sein wollte wie meine Klassenkameradinnen, begann ich ihr Verhalten zu beobachten und zu kopieren. Somit unterschied ich mich – dank perfekter Anpassungsstrategien – auf den ersten Blick bald kaum noch von ihnen.
Es gelang mir sogar, Berührungen in einem gewissen Rahmen zu ertragen, nur erwidern vermochte ich sie nicht, geschweige denn, dass ich selber die Initiative hätte ergreifen können, einen Körperkontakt herzustellen. Wieso hätte ich das auch tun sollen? Es gefiel mit nicht, andere Menschen anzufassen, weil mir ihre Reaktionen darauf unvorhersehbar, fremd und beängstigend waren.
So war es einerseits mein Glück, dass ich oft Prinzessin-Rühr-mich-nicht-an genannt und von den jungen Männern nicht sonderlich beachtet wurde. Auf der anderen Seite litt ich darunter, immer wieder ausgegrenzt zu werden und auf den wenigen Feten, zu denen ich eingeladen war, alleine übrigzubleiben, während sich die anderen amüsierten.
Ich konzentrierte mich zuhause wieder auf meine Bücher und versuchte herauszufinden, was an mir anders war. Dafür musste es doch einen Grund geben. In dieser Zeit wäre es mir sehr hilfreich gewesen, wenn mein Anderssein einen Namen bekommen hätte, etwas, woran ich mich orientieren konnte.
Ohne diesen Namen, den ich vielleicht durch eine Diagnose hätte bekommen können, spürte ich nur, dass ich nicht normal, nicht so wie die Anderen war, was immer das auch bedeutete.