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Keine.
Ich habe Spezialinteressen, aber ich bin nicht inselbegabt.
Darin liegt ein großer Unterschied.
Während Spezialinteressen ein typisches Merkmal für Autismus-Spektrum-Störungen sind, haben Inselbegabungen mit Autismus nichts zu tun.
Inselbegabung oder Spezialinteressen
Menschen mit einer Inselbegabung sind Savants. So wie der von Dustin Hoffman in dem Film „Rainman“ gespielte Raymond Babbitt, für dessen Rolle der Savant Kim Peek als Vorbild diente.
Es gibt auf der Welt nur sehr wenige Savants – Schätzungen schwanken zwischen 50 und 100 Personen mit einer Inselbegabung. Fünfzig Prozent dieser Savants sind zusätzlich autistisch.
Diese Tatsache führt offensichtlich dazu, dass die Inselbegabung oft fälschlicherweise dem Autismus zugeschrieben und nicht als typisches Merkmal der Savants gesehen wird.
Viele AutistInnen haben Spezialinteressen. Im Gegensatz zu einer Inselbegabung, die sich bei einem Savant immer nur auf ein Gebiet bezieht, können Spezialinteressen bei autistischen Menschen im Laufe des Lebens wechseln und beschränken sich nicht unbedingt auf ein Fachgebiet. Da sich AutistInnen ihren Spezialinteressen einen großen Teil des Tages widmen, eignen sie sich mit der Zeit ein umfassendes Wissen über ihr Spezialinteresse an. Dieses – manchmal erstaunliche Fachwissen – wird häufig mit einer Inselbegabung verwechselt oder gleichgesetzt.
Autisten als Inselbegabte in den Medien
Gerade in der letzten Zeit häufen sich Artikel in diversen Zeitungen und Zeitschriften, in denen AutistInnen als Inselbegabte oder inselbegabte Sonderlinge beschrieben werden.
Hier ein Beispiel aus der B.Z. vom 02.06.2013:
Dafür haben viele von ihnen eine Inselbegabung. „Bei meinem Sohn war es BMX“, sagt Müller-Remus. Ricardo (heute 20) war kaum in der Lage, den Schulweg zu meistern oder Freunde zu treffen.
„Aber bei BMX-Rädern wusste er alles: Größen, Preise, Artikelnummern von Ersatzteilen, bis hin zur letzten Unterlegscheibe“, erzählt Müller-Remus, der vorher Geschäftsführer einer IT-Firma war.
Bei diesem Beispiel erkennt man sofort, dass es sich um angeeignetes Wissen handelt und nicht um eine Inselbegabung. Dennoch ist in dem Artikel von einer Inselbegabung die Rede.
Durch die Gleichsetzung oder Verwechslung von Inselbegabung und Spezialinteresse entsteht jedoch in der Gesellschaft schnell ein falsches Bild von dem, was Autismus ist. Und so passiert es dann, dass man als Mutter eines autistischen Kindes immer häufiger gefragt wird, welche Inselbegabung denn der Nachwuchs hat oder Eltern verunsichert sind, weil ihr autistisches Kind nicht über eine solche verfügt. Hier ist es wichtig, aufzuklären und klar zu unterscheiden zwischen der den Savants zugeordneten Inselbegabung und dem Spezialinteresse autistischer Menschen. Auch oder gerade in den Medien, die auf Grund ihres Einflusses auf die Meinungsbildung in der Gesellschaft eine große Verantwortung tragen, ist eine korrekte Verwendung von Fachbegriffen eine wichtige Voraussetzung, die leider sehr oft nicht erfüllt wird mit der Konsequenz, dass falsche Bilder entstehen, die zu einem Missverstehen führen.
Autisten sind keine Inselbegabten, aber Inselbegabte können zusätzlich autistisch sein
Wie bereits zu Beginn dieses Beitrages erwähnt, besteht bisher kein erwiesener kausaler Zusammenhang zwischen einer Inselbegabung und Autismus. Trotzdem wird immer wieder ein Zusammenhang hergestellt, so dass sich der Mythos vom Autisten als inselbegabtes Genie hartnäckig hält und durch zahlreiche Medienberichte noch bekräftigt wird (Inselbegabung als Sprungbrett: Autisten im Job, detektor.fm, Artikel vom 26.05.2013).
Gerade jetzt, wo fast täglich ein Bericht in den Medien zu finden ist über das Vorhaben von SAP, mehrere hundert Autisten als IT-Spezialisten einzustellen, fällt immer wieder der Begriff Inselbegabung, der sich in den Köpfen der LeserInnen festsetzt und ein falsches Bild von Autismus vermittelt. Unterstützt wird dieses noch durch die Abbildung einer Szene aus dem Film „Rainman“ in zahlreichen Artikeln über Autismus – auch im Zusammenhang mit dem Vorhaben von SAP – wie zum Beispiel in dem Artikel „SAP stellt Hunderte von Autisten ein“ im Tagesspiegel vom 22.05.2013.
Und dieses Bild von dem inselbegabten Autisten führt am Ende möglicherweise zu einer Erwartungshaltung, die kein autistischer Mensch erfüllen kann.
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50 % ist nun eindeutig kein Anteil mehr, den man wissenschaftlich vernachlässigen kann. Es ist naheliegend, da einen Zusammenhang zu vermuten. Was worauf einwirkt (Inselbegabung auf Autismus oder Autismus auf Inselbegabung) wird sicher noch zu erforschen sein.
Ich denke da auch an Veranlagungen: Nicht jeder, der eine bestimmte Veranlagung hat, bekommt auch das entsprechende Problem (oder kann das entsprechende Talent nutzen). Migräne oder auch Depression zählen z.B. zu den Krankheiten, die nicht direkt als solche, sondern zu denen nur die Veranlagung vererbt werden kann; ob die Krankheit ausbricht, hängt auch von äußeren Umständen ab.
Daß Journalisten das alles auch noch lustig durcheinander würfeln, macht es natürlich nicht einfacher, insbesondere für uns Autisten. Aber ich würde, wie gesagt anhand der auffällig hohen Zahl, einen Zusammenhang jetzt nicht pauschal abstreiten.
Du sagst, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen Insbegabung und Autismus besteht. Einige Hirnforscher sehen das offenbar anders:
„Auch der Hirnforscher Michael Fitzgerald vom Trinity College (Dublin) sieht die herausragende Kreativität der Inselbegabten als Folge der bei den Autisten bestehenden neuronalen Fehlschaltungen. Seiner Meinung nach waren bei vielen Genies wie Albert Einstein, Isaac Newton und Mozart mehr oder minder starke Ausprägungen von Autismus vorhanden. Allan Snyder von der Universität Sydney geht davon aus, dass man bestimmte Gehirnareale ausschalten muss, um die Reserven der anderen Bereiche freisetzen zu können. Seine Versuchsergebnisse mit starken Magnetfeldern (rTMS) und die daraus abgeleiteten Thesen sind jedoch umstritten.“
(http://de.wikipedia.org/wiki/Inselbegabung#Ursachen)
Was du vermutlich meinst, ist, dass es keinen kausalen Zusammenhang derart gibt, dass Autismus eine Inselbegabung kausal hervorruft. Das ist richtig. Theoretische Ansätze, Inselbegabungen über Autismus kausal zu erklären – also die umgekehrte Kausalrichtung – gibt es offensichtlich sehr wohl. Ich denke, die beiden kausalen Wirkrichtungen sollte man klar unterscheiden.
Ich denke nicht, dass sich Inselbegabungen über Autismus erklären lassen. Denn das würde bedeuten, dass alle Inselbegabten auch automatisch autistisch sein müssen. Dies ist aber nicht der Fall, da nur 50 Prozent aller Savants (Inselbegabten) auch autistisch sind. Demnach kann die Theorie des Hirnforschers nicht stimmen, davon abgesehen, dass man im Nachhinein keine Autismusdiagnose bei Menschen wie Einstein, Newton und Mozart stellen kann. Das sind lediglich Vermutungen. Und – Genies sind nicht automatisch Inselbegabte. Leider werden diese Begriffe häufig gleichgesetzt oder verwechselt, wodurch es immer wieder zu einenm Missverstehen kommt.
Dass „nur“ 50% der Inselbegabten autistisch sind, spricht nicht zwingend gegen einen Kausalzusammenhang. Die wenigsten Phänomene sind unikausal erklärbar, und sicherlich gibt es auch für Inselbegabungen nicht die eine Erklärung, die 100% der Varianz aufklärt. So mag es verschiedene Formen von Inselbegabungen geben, die unter Umständen unterschiedlich erklärbar sind, und Autismus mag eine Erklärung für eine dieser Formen sein. Ja, das ist eine Hypothese, und ich kann sie aktuell nicht belegen. Genauso kann es sein, dass du Recht hast und der Autismus nur eine relativ häufige Begleiterscheinung bei Inselbegabungen ist, mit diesen aber in keinem kausalen Zusammenhang steht. Ich halte die Frage für offen. Daher ist mir das angesichts des Forschungsstandes, der mir bekannt ist, zu endgültig, wenn du sagst „Wie bereits zu Beginn dieses Beitrages erwähnt, besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen einer Inselbegabung und Autismus“ oder “ Inselbegabungen [haben] mit Autismus nichts zu tun.“. Dass sie ganz im Gegenteil etwas miteinander zu tun haben, und sei es nur, dass der Autismus in 50% der Fälle eine Begleiterscheinung von Inselbegabung ist, zeigen die Zahlen. Alles Weitere muss die Forschung klären.
Richtig ist natürlich, wie gesagt, dass Autismus nicht zwingend Inselbegabungen bedingt, wie oft in den Medien behauptet wird. Aber das heißt nicht automatisch, dass beide Phänomene nichts miteinander zu tun hätten. Für diese Aussage, dass ein Kausalzusammenhang gänzlich ausgeschlossen sei, finde ich auch keinerlei Belege. Wenn du dafür Quellen hast, lasse ich mich natürlich gern eines Besseren belehren.
Die Inselbegabung muss eine andere Ursache haben als Autismus, da sonst jeder Savant auch automatisch autistisch wäre, was aber nicht der Fall ist. Solange die Ursache nicht endgültig geklärt ist, kann es keinen kausalen Zusammenhang geben, sondern lediglich Vermutungen, die wissenschaftlich nicht belegt sind.
In den Medien dann von Autisten als Inselbegabten zu berichten, ist insofern falsch, weil hier das Spezialinteresse der AutistInnen gemeint ist und die Begriffe einfach gleichgesetzt oder verwechselt werden. Ich finde es schon befremdlich, wenn ich immer wieder gefragt werde, welche Inselbegabung ich den habe oder Autismusdiagnosen in Frage gestellt werden, weil bei den betreffenden Personen keine Inselbegabung vorliegt.
Hierzu habe ich auch einen älteren Blogbeitrag bei Realitätsfilter zur Inselbegabung gefunden:
http://realitaetsfilter.com/2011/11/01/zu-inselbegabungen/
Sorry, aber die Aussage „Die Inselbegabung muss eine andere Ursache haben als Autismus, da sonst jeder Savant auch automatisch autistisch wäre, was aber nicht der Fall ist.“ ist schlicht falsch. Kausalität ist in der Wissenschaft nicht gleichbedeutend mit „A muss in 100% der Fälle B bewirken“. Das wäre nur bei reiner Unikausalität der Fall, also wenn ein Phänomen nur eine einzige Ursache hat, was aber meist nicht der Fall ist. Es reicht für den Nachweis einer Kausalität theoretisch sogar, wenn ich nachweisen kann, dass A in nur einem einzigen Fall B bewirkt, und ich anhand einer Theorie zeigen kann, warum A in den 99% der anderen Fälle B nicht bewirkt, etwa weil in den 99% moderierende Variablen eine Rolle spielen. Ein Beispiel: Man weiß, dass ein zu hoher Blutdruck eine kausale Ursache für einen Herzinfarkt sein kann. Deiner Argumentation nach müssten nun alle Menschen, die einen zu hohen Blutdruck haben, zwangsläufig einen Herzinfarkt bekommen. Dies ist nicht der Fall. Warum? Weil es andere, auf das Herzinfarktrisiko ebenfalls kausal wirkende Faktoren gibt, die diesem Risiko entgegenwirken. Dennoch ist zu hoher Blutdruck ein ursächlicher Risikofaktor für Herzinfarkte. Wie ich schon sagte: Phänomene sind seltenst nur mit einer Ursache zu erklären. Meist spielen verschiedenste Faktoren eine Rolle, die sich auch mal gegenseitig aufheben können. Daher kann es durchaus sein, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen (bestimmten Formen von) Inselbegabung und Autismus gibt, obwohl „nur“ 50% der Inselbegabten autistisch sind.
Du schreibst: „In den Medien dann von Autisten als Inselbegabten zu berichten, ist insofern falsch, weil hier das Spezialinteresse der AutistInnen gemeint ist und die Begriffe einfach gleichgesetzt oder verwechselt werden“. Das ist völlig richtig, hat aber mit der grundsätzlichen Frage, ob es einen Kausalzusammenhang zwischen Inselbegabung und Autismus gibt, prinzipiell erst mal gar nichts zu tun. Dass es unter bestimmten Umständen einen Kausalzusammenhang zwischen Inselbegabung und Autismus geben kann, heißt weder, dass Inselbegabte immer Autisten sein müssen, und erst recht nicht, dass Autisten immer Inselbegabte sein müssen. Das alles darf man einfach nicht zusammenwerfen, wie es die Medien tun und wie du es zu Recht kritisierst – und dann leider denselben Fehler machst. Es ist eine offene Forschungsfrage, ob es unter bestimmten Umständen einen kausalen Zusammenhang zwischen Inselbegabung un Autismus gibt, auch wenn nachgewiesen ist, dass Autisten nicht automatisch inselbegabt und Inselbegabte nicht in allen Fällen Autisten sind.
Bezüglich deines Beispiels mit dem Bluthochdruck, der als Risikofaktor für einen Herzinfarkt gilt und demnach kausale Ursache für einen Herzinfarkt sein kann, aber nicht muss, weil es noch weitere mögliche Ursachen gibt, gehe ich mit dir konform. Dieser kausale Zusammenhang ist aber bereits wissenschaftlich bewiesen, was bei einem möglichen Zusammehang zwischen Inselbegabung und Autismus bisher nicht der Fall ist.
Du schreibst am Ende selber, dass es eine offene Forschungsfrage ist. Und ich bin der Meinung, dass man erst von einem kausalen Zusammehang sprechen kann, wenn dieser wissenschaftlich bewiesen ist.
„Du schreibst am Ende selber, dass es eine offene Forschungsfrage ist. Und ich bin der Meinung, dass man erst von einem kausalen Zusammehang sprechen kann, wenn dieser wissenschaftlich bewiesen ist.“
Das ist richtig. Du sagst aber in deinem Artikel, dass diese zwei Phänomene nichts miteinander zu tun hätten und es keinen Kausalzusammenhang gäbe. Das ist nicht dasselbe wie die Aussage, dass ein Kausalzusammenhang bisher noch nicht nachgewiesen ist. Die Aussage, dass es keinen gibt, darf man erst machen, wenn in mehreren Untersuchungen keiner gefunden wurde.
Ich habe den Satz entsprechend geändert dahingehend, dass es bisher keinen erwiesenen, kausalen Zusammenhang gibt.
Liebe Sabine Kiefner,
auch von mir ein großes DANKE für diese klar(stellend)en und wichtigen Worte.
Super gewählt und sehr gut verständlich finde ich das Beispiel mit BMX und der Begründung, warum „BMX“ keine Inselbegabung sein kann. (Ironie on: Vielleicht aber eine neue Modediagnose à la „Isch hab‘ BMX“ 😉 – Ironie off)
Schon schwierig genug, wenn eine Hochbegabte mit Asperger Autismus bzw. ‚autistischen Zügen‘ lebt, irgendwie in der Gesellschaft klarkommen muss und sich auch noch zu rechtfertigen hat, dass sie halt in manchen Dingen anders ist als der Durchschnitt. Da kommen dann Bemerkungen wie „Alle anderen können das doch auch, also stell dich nicht so an. Du brauchst immer eine Extrawurst. Das ist ja unerträglich.“
Absolut unerträglich aber, wenn dann Bemerkungen kommen wie „Was denn, du hast keine Inselbegabung? Dann bist du ja gar keine richtige Austistin. Du tust nur so als ob, weil du immer eine Extrawurst willst. Also stell dich gefälligst nicht so an.“
Mit deiner Schlussbemerkung, dass durch falsche Informationen falsche Erwartungen geweckt werden, triffst du es auf den Punkt. Nicht auszudenken der zusätzliche Druck, der dadurch bei Einzelnen entsteht.
Höchst interessant finde ich die Schätzung, dass es weltweit nur 50 – 100 Savants gibt. Das ist wichtig zu wissen und trägt sehr zur Aufklärung bei. Woher stammen die Zahlen?
Sehr herzliche Grüße!
mo jour
Danke. Es sind doch immer wieder diese kleinen, aber feinen Unterschiede, die unbeachtet zu Problemen führen.
Ich mag deinen Blog sehr und bin immer wieder begeistert, wie du in Worte fassen kannst, was mir durch den Kopf geistert.
Wir Eltern von autistisches Kind haben das nicht einfach.
Liebe Sabine
Vilen Dank für diese Erklärung
Ich werde so oft gefragt . Welche außergewöhnliche Fähigkeiten ?, oder welche Inselbegabung hat dein Asperger Sohn ?
Die Leute haben ein anderes Bild vom Asperger Autismus. leider!. Wegen die Medien und auch die Aussagen von Autisten die „ hochbegabte“ sind und über selbst sagen das sie fühlen wie ein Androide , das die denken in Computersprache. Solche aussage führt oft zum Missverständnis. :
„Kennen Sie Commander Data?“, fragt er unvermittelt. Der Android von „Raumschiff Enterprise“ versteht Witze nicht und kann keine Gefühle empfinden, dafür ist er ein Rechengenie und vergisst nie etwas. „Genau so fühle ich mich oft.“
„Ich denke in der Computersprache“
http://www.sueddeutsche.de/bayern/werner-kelnhofer-auf-einem-fremden-planeten-1.974776
Hochbegabt ist nicht Inselbegabung.
Aber wenn jemand sag das fühlt sich wie ein Android und das denk in Computersprache konnte leicht falsch interpretiert .und wir haben die positive wie die negatives Klischees sofort .