Es störte mich nicht, dass keiner der jungen Männer mit mir tanzen wollte.
Sie waren viel zu aufdringlich in ihrer Art, wie sie beim Tanzen die Mädchen an sich drückten.
Ich würde das gar nicht wollen.
Lieber saß ich alleine am Rand der Tanzfläche und schaute auf den Boden, auf den das bunte Licht im Takt der Musik Muster projizierte.
Ganz symmetrische Muster,als betrachte ich den Boden durch ein Kaleidoskop.
Die Farben wiederholten sich in der gleichen Reihenfolge.
Gelb – Blau – Rot – Grün. Immer und immer wieder.
Nur die Geschwindigkeit änderte sich, wenn ein neues Lied gespielt wurde.
Sie lachten – offenbar ein Anzeichen dafür, dass sie sich amüsierten.
Ich sah keine Gesichter, nur Füße und Beine, die sich zur Musik bewegten und Hände, die an engen Jeans fummelten.
Meine Hände vergruben sich in der Schüssel mit den Kartoffelchips.
Längst hatte ich mich daran gewöhnt, an solchen Abenden nicht beachtet zu werden.
Glücklicherweise fanden Veranstaltungen wie diese nur in sehr großen Zeitabständen statt.
Es war nicht mein Wunsch gewesen, den Abend in diesem kleinen, dunklen Raum zu verbringen, in dem es nach Bier, Schweiß und Zigaretten roch.
Die Freundin meiner Mutter hatte den Vorschlag gemacht, dass ich mit ihrer Tochter gemeinsam dort hingehen solle, um unter Gleichaltrige zu kommen und nicht nur zuhause herumzusitzen. Ich hätte die vier Stunden viel lieber allein auf meinem Zimmer verbracht und gelesen.
Bücher bedeuteten mir wesentlich mehr, als der Hampelei und dem Gefummele auf der Tanzfläche zuzusehen. Doch nun befand ich mich dort mitten unter Menschen, zu denen ich nicht gehörte und nie gehören würde.
Ab und zu setzte sich eines der Mädchen für einen kurzen Moment zu mir, bevor es wieder zum Tanzen aufgefordert wurde und kichernd in diesem Durcheinander von Beinen und Füßen verschwand. In dem Stimmengewirr, welches sich mit der Musik vermischte, konnte ich allerdings nicht verstehen, was sie zu mir sagten, falls sie überhaupt mit mir sprachen.
Ich sah nur, dass sich ihre Lippen bewegten, wenn ich für einen kurzen Moment meinen Blick vom Boden und den Lichtmustern auf ihre Münder richtete.
Manchmal suchte eine ihrer Hände nach den Kartoffelchips, die sich in einer Schüssel auf dem Stuhl neben mir befanden. Dann reichte ich ihnen die Knabbereien herüber, damit sie mir nicht zu nahe kommen würden mit ihren verschwitzten Körpern.
Ich fürchtete mich vor jenen Berührungen, die ein unangenehmes Gefühl auf meiner Haut hinterließen, weil sie eine körperliche Nähe erzeugten, die in mein Innerstes einzudringen versuchte. Das machte mir Angst.
Ihnen schien es nichts auszumachen, so oft, wie sich sich gegenseitig auf der Tanzfläche berührten. Ich fand ihr Verhalten – gerade den jungen Männern gegenüber – recht merkwürdig, obwohl es nicht außergewöhnlich für Mädchen in ihrem Alter war.
So fühlte ich mich ihnen auch in diesem Punkt nicht zugehörig, sondern spürte ganz deutlich eine Distanz, die Nähe niemals möglich machen würde.
Ich gehörte einfach nicht dort hin, auch, wenn die Freundin meiner Mutter und meine Eltern anderer Meinung waren.
Sie wussten nicht, wie fremd ich mich fühlte inmitten Gleichaltriger, deren Interessen ich nicht teilte. Wahrscheinlich hätten sie es auch nicht verstanden, wusste ich doch selber nicht, warum ich anders als die anderen war.
In regelmäßigen Abständen sah ich auf die Uhr, um genau auszurechnen, wie lange ich noch bleiben musste, um pünktlich um 22 Uhr zu hause zu sein.
Mittlerweile war ich satt von den vielen Kartoffelchips, nach denen ich im Laufe des Abends immer wieder gegriffen hatte. Lieber wollte ich etwas trinken, traute mich aber nicht, auf die andere Seite der Tanzfläche zu gehen, wo die Getränke standen, um mir dort ein Glas Cola einzuschenken.
In der Dunkelheit mit den musterwerfenden, bunten Lichtern konnte ich nicht gut sehen und hatte Angst, zu stolpern oder möglicherweise im Vorbeigehen unbeabsichtigt eines der eng umschlungenen Paare zu berühren.
Daher blieb ich lieber sitzen und summte leise die Melodie des Liedes mit, welches gerade gespielt wurde. Die Monotonie meiner Stimme beruhigte mich. Trotzdem blieb meine Haltung verkrampft. Ich fühlte mich nicht wohl.
Wieder griff ich nach der Schüssel mit den Knabbereien, um meine Hände zu beschäftigen, damit ich nicht beginnen würde, mit ihnen herum zu fuchteln, wie ich es häufig tat, wenn ich aufgeregt oder mit einer Situation überfordert war.
Am liebsten wäre ich gegangen, aber dafür war es noch zu früh.
Plötzlich stand er vor mir und forderte mich zum Tanzen auf.
Die anderen johlten und lachten – weshalb, das wusste ich nicht.
Möglicherweise hatte ich etwas verpasst.
Ich wagte es nicht, ihm eine Abfuhr zu erteilen, obwohl ich keine Lust hatte, mit ihm zu tanzen, vor allen Dingen nicht auf die viel zu langsame Musik, die inzwischen lief.
Sobald ich aufgestanden war, zog er mich zu sich auf die Tanzfläche, drückte seinen Körper ganz eng an meinen und stöhnte mir etwas ins Ohr, das ich – wie sein gesamtes Verhalten mir gegenüber – nicht verstand.
Ich geriet in Panik und versuchte, ihn zurück zu stoßen.
Meiner heftige Reaktion folgte ein lautes Lachen derer, die neben uns tanzten, welches ich mir nicht erklären konnte.
Warum taten sie das und warum ließ er mich nicht los, obwohl er meinen Widerstand spürte?
Er überschritt meine Grenze einfach so als existiere sie nicht und es schien, dass die anderen Spaß daran hatten.
Ich bat ihn, mich loszulassen, weil ich seine körperliche Nähe nicht länger ertragen konnte. Aber er ignorierte meine verzweifelte Bitte und zog mich stattdessen noch näher an sich.
Mein Körper schmerzte, je mehr ich mich verkrampfte.
Ich wollte weg – so schnell wie möglich.
Ich musste diesen Raum verlassen – sofort.
Doch er ließ mich nicht los. Lachte.
Immer und immer lauter.
Auf einmal war sie da, diese Wut in mir, die hinaus wollte und mich zum Handeln zwang.
Alles drehte sich. Die Musik, die bunten Lichtmuster, das Lachen – sein Lachen. Immer lauter und schneller. Mir wurde schwindelig. Ich musste dies alles zum Halten bringen, bevor es über mir zusammenbrach.
Mein Schlag traf ihn mitten ins Gesicht.
Sofort stieß er mich von sich und ließ mich auf der Tanzfläche stehen.
Es war still. Kein Lachen mehr.
Selbst die Musik hatte für einen Moment ausgesetzt, bis jemand eine neue Platte auflegte.
Ich setzte mich zurück auf meinen Platz und sah auf die Uhr.
Es war zwanzig nach neun.
In vierzig Minuten würde ich endlich zuhause sein.