Schlagwörter
Angst, Asperger-Syndrom, Autismus, Ballsport, Mannschaftssport, Schule
„Hier! Wirf mir den Ball zu. Hier!“
Ich stand mitten in der Turnhalle und sah mich um.
Eine meiner Klassenkameradinnen, die in der gleichen Mannschaft spielte wie ich, lief mit hoch gestreckten Armen am Spielfeldrand auf und ab.
„Hier! Hier!“
Ich hielt den Ball fest umklammert, damit ich ihn beim Laufen nicht verlieren würde.
Gleichzeitig zu laufen und zu werfen gelang mir nicht.
Doch jetzt, wo ich stehen geblieben war, musste ich mich auf die Mitschülerinnen konzentrieren, die in der gegnerischen Mannschaft waren und aus allen Richtungen auf mich zugelaufen kamen, um mir den Ball abzunehmen.
„Nun wirf doch endlich!“
Ich konnte nicht werfen. Zu viele Arme waren mir im Weg. Arme, die versuchten, meinen Wurf abzufangen. Arme, auf die ich achten musste, weil sie bereits viel zu nahe waren.
Ich hatte Angst, große Angst, dass meine Klassenkameradinnen mich anrempeln oder mit ihren Armen und Händen berühren würden. Angst, die alle anderen offensichtlich nicht hatten. Sie kreischten, während sie mit hoch gerissenen Armen vor mir hin und her hüpften und mir den Weg verstellten. Ich nahm ihren Atem wahr und den Geruch ihrer verschwitzten Trikots und T-Shirts.
„Hier! Hier!“
Die Stimmen vermischten sich zu einem einzigen Lärmknäuel.
Ich wusste nicht mehr, woher sie kamen und ob sie zu meinen Teamkameradinnen oder zur gegnerischen Mannschaft gehörten.
Es waren zu viele.
Zu viele Stimmen, zu viele Arme, zu viele Menschen, die mir so nahe waren, dass sie mich jeden Moment berühren würden.
Ich ließ den Ball fallen.
Ich ließ ihn einfach aus meinen Händen auf den Boden fallen, weil ich nicht wollte, dass sie mich bei dem Versuch, sich den Ball zu holen, mit ihren Körpern berührten.
„Bist du blöd?“
„Du solltest den Ball werfen, nicht fallenlassen!“
„Wegen dir werden wir verlieren.“
Ich verstand nicht, warum die Mitschülerinnen aus meinem Team so laut schrien und mich ausbuhten und als blöd bezeichneten, während die Mädchen aus der gegnerischen Mannschaft lachten und mir ein „Danke“ zuriefen, nachdem sie ein Tor erzielt hatten und dadurch in Führung gegangen waren.
Ich hatte den Ball doch nicht absichtlich fallen lassen, damit unsere Mannschaft verliert.
Den Rest des Spielzeit lief ich in der Turnhalle hin und her, ohne den Ball noch einmal zugespielt zu bekommen. Keine der Mitspielerinnen sprach ein Wort mit mir oder bezog mich in das Spiel mit ein. Ich sei ja zu blöd, den Ball rechtzeitig abzugeben und einer freien Mitspielerin zu zu werfen.
Ich war keine von ihnen.
Ich würde nie eine von ihnen sein, egal, wie sehr ich mich darum bemühte.