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„Das geht mir genauso.“
„Ich kann Lärm auch nicht ertragen.“
„Mich stören die vielen Menschen auch.“
„Ich bin auch gerne alleine.“
„Ich mag grelle Farben auch nicht.“
„Ich bin auch geruchsempfindlich.“
„Ich verstehe Ironie auch nicht.“
„Ich telefoniere auch nicht gerne mit fremden Menschen.“
„Ich kann manche Berührungen auch nur schwer ertragen.“
Auch – auch – auch.
Immer wieder dieses Auch mit dem ich konfrontiert werde, wenn ich Menschen erläutere, was es für mich bedeutet, autistisch zu sein.
Was impliziert dieses Auch im Zusammenhang mit Situationen, in denen ich beschreibe, warum ich anders bin, was mein Anderssein beinhaltet?
Wollen mir die Auch-Sager mitteilen, dass ich gar nicht so anders bin, weil sie selber gleich empfinden?
Heben sie mit ihrem Auch mein Anderssein auf? Und wenn ja, aus welchem Grund? Geschieht das, weil sie mir damit sagen wollen, dass ich genauso bin wie sie beziehungsweise sie genauso sind wie ich – dass es keinen großen Unterschied gibt zwischen nichtautistischen und autistischen Menschen, dass meine autistische Wahrnehmung gar nicht so anders ist wie ihre neurotypische Wahrnehmung?
Ihr Auch verunsichert mich.
Wenn ein blinder Mensch beschreibt, welche Probleme er im Alltag hat, wird niemand antworten, dass es ihm genauso geht, dass er die gleichen Schwierigkeiten hat.
Bei autistischen Menschen geschieht das aber immer und immer wieder.
Warum?
Hängt es damit zusammen, dass in den Fällen, wo eine Behinderung oder ein Anderssein nach außen hin sichtbar ist, niemand erwartet, dass beispielsweise ein Blinder lesen oder ein Rollstuhlfahrer laufen kann? Dass man bei einem Blinden nicht in Frage stellt, dass er nicht sehen kann? Bei autistischen Menschen hingegen wird immer wieder in Frage gestellt, ob sie etwas auf Grund ihrer autistischen Wahrnehmung nicht können.
In einem solchen Moment kommt dann das Auch ins Spiel.
„Du fährst nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil du die vielen Menschen und das Gedränge nicht ertragen kannst? Ich mag das auch nicht und muss trotzdem jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit fahren.“
Würde jemand zu einem Rollstuhlfahrer sagen: „Du fährst nicht mit dem Zug, weil es an der Haltestelle keinen Aufzug gibt? Ich mag es auch nicht, Treppen zu Fuß hinaufgehen und fahre trotzdem jeden Morgen von dieser Haltestelle aus zur Arbeit.“? Wohl kaum.
Warum also bei AutistInnen?
Liegt es ausschließlich daran, dass für viele Menschen nicht sein kann, was sie nicht sehen? Dass Erklärungen, warum man etwas nicht kann, nicht ausreichen oder sogar als Ausrede gesehen werden. Dass Nicht-können mit Nicht-wollen gleichgesetzt wird? Dass von AutistInnen erwartet wird, dass sie sich nichtautistisch verhalten, weil es schließlich auch nichtautistische Menschen gibt, die lärmempfindlich sind, Berührungen nicht ertragen, Probleme mit sozialen Kontakten haben etc.?
Oder gibt es noch einen weiteren Grund für das ständige Auch?
Wenn andere Menschen die Schwierigkeiten, mit denen AutistInnen täglich konfrontiert werden auch haben, dann kann das ja alles nur halb so schlimm sein.
Das Auch bagatellisiert.
Die Lärmempfindlichkeit eines autistischen Menschen kann so schlimm nicht sein, wenn andere Menschen auch lärmempfindlich sind. Daraus resultierend rechtfertigt sie auch keine besondere Rücksichtnahme.
„Der Lärm kann zu einem Overload führen? Stell dich nicht so an. Ich bin auch lärmempfindlich.“
Mit Aussagen wie dieser werden AutistInnen im Alltag häufig konfrontiert. Sie führen dazu, dass sich autistische Menschen nicht ernst genommen fühlen. Dass sie spüren, dass das Verständnis für ihr autistisches Sein und für das damit verbundene Verhalten in der Gesellschaft oft fehlt oder missverstanden wird.
Das Auch verharmlost nicht nur, es schafft auch Vorurteile.
Vorurteile, die ich aus eigener Erfahrung kenne:
– Du bist nur zu faul.
– Du musst dich nur ein bisschen mehr anstrengen.
– Du stellst dich bloß an.
– Du willst nur nicht.
Vorurteile, die dazu führen, dass man sich immer wieder rechtfertigen muss für sein Verhalten und für sein Anderssein. Schlimm genug, dass man sich ständig rechtfertigen muss.
Aber was folgt, wenn man sich mit Worten zu erklären versucht?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Auch-Satz.
Ein Auch, welches wieder verharmlost – Autismus verharmlost.
„So schlimm ist das doch alles gar nicht, schließlich kenne ich das von mir auch.“
Jeder Mensch kann eben nicht jeden verstehen. Viele reagieren schnell oder gedankenlos. Oder die Beschreibung des Problems war nicht nachzuvollziehen, weil zu fremd.
Ich denke, diese Reaktionen erleben vielen Menschen so, die sich stark vom Durchschnitt unterscheiden. Und auch relativ „normale“ Menschen. Stell dich nicht so an, ich/meine Oma/meine Nachbarin hat das auch geschafft, etc. Eine normale, menschliche Reaktion. Irgendwo zwischen Abwehr, Verbindung mit eigenen Erleben und beginnendem Verstehen.
Jeder muss lernen, damit zu leben. Nur manche erleben das eben viel, viel öfter in viel, viel schwierigeren Situationen und die Enttäuschung und der Ärger potenzieren sich.
Es ist eine Illusion, zu glauben, dieses menschliche Verhalten generell ändern zu können. Bei interessierten und ausreichend intelligenten Menschen wird Aufklärung auf fruchtbaren Boden fallen, bei anderen nicht. Das war immer schon so und wird auch immer so bleiben …
Und dann gibt es ja auch oft das „auch“, das wirklich als Zeichen von Verständnis gemeint ist. „In klein kenne ich das auch; ich glaube, ich kann zumindest ansatzweise verstehen, was du meinst“.
Über die verschiedenen Verwendungsmotive des „auchs“ wurde hier nun schon diskutiert. Selbst wenn dies nicht negativ verwendet wird, so gibt es doch ein Missverständnis aufgrund von Unwissenheit (von Seiten des Nicht-Autistens). Meiner Meinung nach kann es durchaus sein, dass andere Menschen ähnliche Probleme kennen (auch mit gleich empfundener Intensität). Der Unterschied zum Autisten besteht vermutlich in der Anzahl der Probleme. Nehmen wir an, ein Nicht-Autist und ein Autist sind beide gleich stark geräuschempfindlich. Der Autist ist aber zusätzlich auch noch stark berührungsempfindlich, mag keine Menschenmengen, etc. (Zutreffendes bitte einsetzen).Vielleicht würde der Autist mit nur einem Problem sich auch halbwegs arrangieren können bzw. es zeitweise aushalten können. Doch häufig treten doch mehrere Probleme parallel auf. Und könnte sich der Nicht-Autist sich mit mehreren Problemen/Einschränkungen auch noch zusammenreißen? Vermutlich (das ist eine nicht überprüfte Unterstellung meinerseits) nicht. Das ist meine Sichtweise zum Thema, die natürlich keinen Anspruch auf Richtigkeit erhebt und auf der Grundannahme beruht, dass es sich bei vielen Problemen von Autisten um verstärkt und kombiniert auftretenden Macken der Nicht-Autisten handelt. Dies schließt individuelle und zusätzliche Probleme natürlich nicht aus. Korrigiert micht, wenn ich falsch liege.
Hab nicht alles gelesen…
„Diese“ AUCH-Menschen nenne ich die „Relativierer“. Mit ihren „Pseudoantworten“, relativieren sie jede Aussage und verhindern damit jede vernünftige Kommunikation.
Alles bleibt wie es ist..
Sie sind in aller Regel, meine Erfahrung, Empathieunfähig bis zum Sadismus. Meine Devise, keine Sekunde kostbare Lebenszeit verschwenden, sie sind auch, durch ihre Empathieunfähigkeit, unbelehrbar.
Das ist mir auch in letzter Zeit stark aufgefallen. Gerade, wenn ich zum Thema Autismus aufklären will. Jetzt bin ich dahinter gekommen! Die Leute sagen es, um tolerant zu sein. Anscheinend wollen sie ihre Anteilnahme damit ausdrücken. Das ist bei Menschen häufig der Fall. Ich persönlich finde die Schwächen nicht schlimm, weil ich ja selber damit lebe. Also, Schwächen müssen doch nicht immer verharmlos werden. Sie sind ein Teil der Persönlichkeit. Ich habe eine andere Denkweise dazu und das ist halt ein Unterschied.
Pingback: Netzrückblick • 17.01.2013 | Henning Bulka | Journalist
Beim Lesen dieses Artikels fiel mir ein gestriger Fernsehbeitrag über Marie-Luise Dreyer ein, die – an Multipler Sklerose erkrankt – mit ihrer Behinderung offensiv umgeht. Großen Respekt dafür.
Wünschen würde ich mir in diesem Zusammenhang, dass es auch Autisten möglich wäre, diesen offensiven Umgang mit den eigenen Einschränkungen zu pflegen und dabe auch die eigenen Stärken besser nutzen zu können. Leider scheint dies kaum möglich zu sein, wenn hinter jeder Ecke der „Ausrede-„, „Wichtigtuer-“ oder „halb-so-schlimm-“ Hammer wartet.
Moin moin,
wartet tatsächlich dieser Hammer an jeder Ecke, oder wird er so empfunden, gleichwohl er vielleicht nicht so gemeint ist?
Das ist eine ernst gemeinte Frage und keine Implikation in irgendeine Richtung. Da ich selber die Erfahrung nicht haben kann, würde mich eine Einschätzung interessieren.
LG
André Wolff
@Andre Wolff:
„wartet tatsächlich dieser Hammer an jeder Ecke, oder wird er so empfunden, gleichwohl er vielleicht nicht so gemeint ist?“
Möglich, dass es nur eine Empfindung ist, die sich aus „eingebrannten“ Erfahrungen speist. Diese Erfahrungen „auszuradieren“ ist allerdings schwierig, hier zeigt sich dann der Nachteil eines (zu) guten Gedächtnisses.
Ich zitiere mal (nicht wörtlich) zwei Aussagen, die ich angesichts einer GdB-Feststellung von 50 von (relativ) vertrauten Personen erhielt:
„GdB 50 ohne Schmerzen zu haben – du hast es wirklich gut.“
„Eine Macke habe ich auch – aber ich kriege keinen Ausweis.“
Ich kann sicherlich nicht abschließend beurteilen, wie die Aussagen gemeint sind. Logisch wäre für mich dann, Fragen zum Verständis zu stellen, versuchen zu eruieren, wie das Gesagte gemeint ist. Mein Eindruck ist allerdings, dass derartige Fragen als Provokation gewertet werden, da der Gegeüber fest davon überzeugt ist, man wisse sicher, was gemeint ist (und welche Konsequenzen zu ziehen sind). Und so gesehen können Rückfragen nur Provokation sein.
Ein Dilemma, zu dessen Lösung mir momentan die Handhabe fehlt.
Genau das ist der Punkt: „Ein GdB von 50 ohne Schmerzen zu haben“.
In einem Blogkommentar erklärte mir mal jemand, er akzeptiere keine Krankheit, die er nicht sehen könnte (es ging um Depressionen). Das sei für ihn dann einfach nicht da und nur eingebildet. Und ich fürchte, so denken viele, wenn auch vielleicht unbewußt.
Wenn ein kranker oder behinderter Mensch also nicht ständig mit schmerzverzerrtem Gesicht rumläuft (sofern er noch laufen kann), wird er von vielen als „gesund“ und „normal“ eingeordnet und hat sich dann „gefälligst“ auch so zu verhalten. Hier hat ein nicht ganz so kleiner Teil unserer Gesellschaft noch sehr viel zu lernen.
„Logisch wäre für mich dann, Fragen zum Verständis zu stellen, versuchen zu eruieren, wie das Gesagte gemeint ist. Mein Eindruck ist allerdings, dass derartige Fragen als Provokation gewertet werden, da der Gegeüber fest davon überzeugt ist, man wisse sicher, was gemeint ist (und welche Konsequenzen zu ziehen sind). Und so gesehen können Rückfragen nur Provokation sein.“
Moin, jau, Fragen werden gerne als Unterstellung oder Provokation gehört, das stimmt. Dazu habe ich für mich die „gewaltfreie Kommunikation“ entdeckt, gleichwohl ich den Namen nicht mag und daher von „wertschätzender Kommunikation“ spreche. Darüber tausche ich mich immer wieder mit einem auch hier bekannten Asperger-Autisten aus, da ich feststellen möchte, ob und wie diese Art des Sprechens (und vor allem Denkens…aber sprechen ist schon mal wichtig) Möglichkeiten eröffnet und wo die Grenzen sind.
LG
André
Ganz knapp: ja. Weil Empathie dort endet, wo etwas nicht verstanden wird.
Genau das wünsche ich mir auch. Deshalb gehe ich sehr offen mit meiner Diagnose um und schreibe – hier in meinem Blog, aber auch in meinem Buch – darüber, was es im Alltag bedeutet, autistisch zu sein.
Vielleicht liegt es ja daran, dass es „uns“ schon mal so vorkommt, dass scheinbar sehr „krampfhaft“ versucht wird, jedes mögliche Verhalten als „das ist, weil ich Autist bin“ darzustellen. Das hat nichts mit „stell dich nicht so an“ zu tun und auch nicht mit „mir geht’s auch schlecht“. Es gibt unter „uns“ einige, die total daran interessiert sind zu verstehen, was es heißt, dass ihr Autisten seid, weil ihr Familienmitglieder oder Freunde seid, oder weil es beruflich interessiert, oder einfach weil ich z.B. glaube, dass Verständnis und Empathie unser aller Leben angenehmer machen können.
Aber ja – manchmal schüttele ich den Kopf, wenn ich die Begründung „weil ich Autist bin“ höre oder lese. Manchmal ist jeder von uns „Mensch“ und hat seine Eigenheiten, die überhaupt nicht auf Autismus oder andere Dinge zurück zu führen sind und es muss nicht alles in die Schublade „ach ja, Autismus halt“ geschoben werden.
Vermutlich werde ich einigen nicht gerecht damit, natürlich kann ich nicht das Innenleben mitfühlen, aber wenn mir jemand sagt „Ich mag Menschenmassen nicht“, dann stelle ich tatsächlich fest: ich auch nicht. Wenn jemand am Boden rollt und sich die Ohren zuhält – ja, dann stelle ich fest „ach du Scheiße, ist wohl doch anders als bei mir“.
Der Texterstellerin geht es auf den Keks, wenn andere „auch“ etwas empfinden und ihrem Verständnis nach nicht respektvoll betrachten können, dass die Empfindungswelt von Autisten sehr wohl anders ist und nicht „auch“.
Mir geht es auf den Keks wenn der Wunsch nach Anerkennung laut und immer wieder geäußert wird, aber menschliche Reaktionen wie „geht mir auch so“ verteufelt werden und es nicht respektiert wird, dass wir Nicht-Autisten auch empfinden.
Jetzt, wo wir gegenseitig wissen, was uns auf den Keks geht, können wir ja gegenseitig darauf achten.
Ganz liebe Grüße
André Wolff
Lieber Herr Wolff,
mal bewusst provokant gefragt: Ich käme bei Ihnen in eine Partnerschaftsberatung und würde zu Protokoll geben, beim besten Willen nicht Wünsche von den Augen ablesen zu können, sondern auf verbale Kommunikation angewiesen zu sein? Käme ich dann auch in den Ausreden-Topf?
Beste Grüße aus dem wilden Osten
Moin moin,
zuerst möchte ich sagen, dass ich von Ihnen nur eine Frage gelesen habe, aber keine Provokation verspüre. Die Frage ist gut und führt vielleicht ein wenig zum besseren Verständnis, wie ich Dinge meine.
Da ich ein großer Freund von Marshall Rosenbergs „Gewaltfreier Kommunikation“ bin, kann ich mich mit dem Gedanken, die Wünsche anderer hauptsächlich über verbale Kommunikation zu verstehen sehr gut anfreunden 🙂 Der Grundgedanke dabei ist, Dinge zu sehen / hören, ohne sie zu bewerten oder zu interpretieren.
Insofern würde mich das überhaupt nicht wundern oder stören.
Wenn ich dann den Hinweis bekomme, dass diese Besonderheit aufgrund des Autismus sehr stark ausgeprägt ist, würde ich versuchen noch stärker darauf zu achten. Sollte genau das der Grund sein, warum Sie mit ihrem Partner bei der Beratung sind, würde ich vermutlich versuchen daran zu arbeiten, dass Ihr Partner lernt sich so auszudrücken, dass Sie seine Wünsche und Bedürfnisse tatsächlich verstehen.
Weitere Anmerkungen:
Ich möchte darauf hinweisen, dass ich das Wort „Ausreden“ nicht genutzt habe und auch an keiner Stelle so gemeint habe. Ich bitte darum, es mir auch nicht in den Mund / die Tastatur zu legen 🙂
Wünsche von den Augen anderer abzulesen hat ja auch wenig mit Sehen zu tun, sondern ist eine Mischung aus gutem Gedächtnis, Intuition und ein wenig Glück. Ich verstehe total, wenn jemandem das schwer fällt. Im Übrigen auch hier wieder völlig unabhängig davon, ob die Person Autist ist oder nicht. Ich persönlich mag klar geäußerte Worte.
Liebe Grüße
André Wolff
@Andre Wolff:
„Wünsche von den Augen anderer abzulesen hat ja auch wenig mit Sehen zu tun, sondern ist eine Mischung aus gutem Gedächtnis, Intuition und ein wenig Glück. Ich verstehe total, wenn jemandem das schwer fällt. “
Danke.
Das mit dem Gedächtnis ist das geringste Problem, das ist vorhanden. Nur leider fuktioniert es am besten mit Fakten, Daten und anderen weitgehend objektivierbaren Dingen. Es ist sicherlich einfach, Informationen wie Lieblingsblumen, -farben, -essen etc. zu sammeln und dann anzuwenden. Allerdings scheitert es bereits daran, einzuschätzen, ob eine vorliegende (Konflikt-)situation mit einer vorhergehenden vergleichbar oder völlig anders zu bewerten ist. Bei mir schlägt dann eine Art Mustererkennung an, die aber an der Empfindung der anderen Person völlig vorbei gehen kann und es in der Mehrzahl der Fälle auch tut. Wenn die Mustererkennung nicht funktioniert, bin ich aufs Raten angewiesen.
Noch komplizierter wird es bei Gesichtsausdrücken, wo zumindest meine Differenzierungsfähigkeit nicht weiter als „positiv“ oder „negativ“ reicht. Nehmen wir als Beispiel Trauer und Wut – sieht für mich zunächst gleich aus. Allenfalls Tränen ließen mich dann eher in Richtung Trauer denken. Das Beste wäre allerdings, man kennt die Hintergründe und könnte anhand dessen das Verhalten des Gegenübers besser einordnen. Dann kommen wir aber wieder zu den Verständnisfragen, die beim Gegenüber wie Vorwürfe oder Hohn ankommen. Man sagt beispielsweise „ich verstehe gerade nicht…“ und wird verstanden wie „ich finde dein Verhalten absurd/überzogen/unangemessen“. Dabei soll das gar nicht zum Ausdruck gebracht werden.
Moin, hier ist eigentlich die gleiche Antwort von mir wie weiter oben.
Ja – was gesagt wird und was gehört wird, ist oft sehr verschieden. Ich stelle seit ich mit GfK (gewaltfreie Kommunikation) in Verbindung gekommen bin selber oft genau solche Fragen: „Du, ich verstehe gerade nicht, wie du das meinst. Ich habe gehört, dass…Mir ist es aber sehr wichtig Klarheit zu haben über das, was dich gerade bewegt. Meintest du eher xxx oder war es doch xxx?“
Und ja – manche reagieren darauf unangenehm berührt, merken aber schnell, dass ich sie nicht veräppeln will, sondern dass ich es ernst meine damit. Ich möchte tatsächlich wissen, was mein Gegenüber meint, fühlt, bewegt. Und wenn jemand keine Zeit und Lust hat mir das näher zu erläutern, nun, dann hat er wohl seine Gründe dafür.
Genau darum geht es mir in diesem Blogbeitrag, Herr Wolff. Dass Menschen sagen: „Bei mir ist das auch so.“ und „Stell dich nicht so an, ich muss das ja auch aushalten.“ Und wenn ich dann reagiere, weil ich – um Ihr Beispiel aufzugreifen – durch die Menschenmasse einen Overload bekomme und schreie oder erstarre und handlungsunfähig bin – dann stellen sie fest, dass es bei mir – auf Grund des Autismus – doch anders ist als bei ihnen.
Autismus ist keine Ausrede!
Der Texterstellerin geht nicht auf den Keks, wenn andere „auch“ etwas empfinden. Das hat sie nirgendwo geschrieben.
Aber es geht ihr auf den Keks, wenn jemand behauptet, sie hätte etwas geschrieben und das nicht stimmt. Wenn mir ein Mensch sagt, dass er nachempfinden kann, warum ich eine Situation unerträglich finde, weil es ihm auch so geht, dann freut mich das, weil ich sehe, dass dieser Mensch mich ernst nimmt und Verständnis dafür hat, warum ich zum Beispiel große Menschenansammlungen meide. Und dass er mir nicht unterstellt, dass ich mich nur anstelle und mein autistisches Sein als Ausrede benutze.
Aus dem Grund halte ich seit zwei Jahren Vorträge über Autismus. Um Verständnis zu schaffen und Vorurteile abzubauen, in dem ich darüber schreibe und berichte, was Autismus ist und was er nicht ist.
Und Autismus ist auf keinen Fall eine Ausrede!
Ich verteufele nicht. Ich habe nur Kritik geäußert an einem „Das geht mir auch so“, welches Autismus bagatellisiert und auf diese Weise dazu führt, dass Schwierigkeiten, mit denen AutistInnen im Alltag konfrontiert werden, nicht ernst genommen werden.
Und ich habe auch nicht geschrieben, dass ich nicht respektiere, dass NichautistInnen auch empfinden. Das tun schließlich alle Menschen und es wäre vermessen von mir, nichautistischen Menschen ein (Mit)empfinden abzusprechen.
Moin moin, ich denke, wir kommen uns näher, was das Verstehen angeht, wie Dinge gemeint sind.
Als erstes möchte ich allerdings wieder darauf hinweisen, dass das Wort „Ausrede“ nicht aus meiner Tastatur kam und auch kein Teil meines Textes so gemeint war.
Ich tue mir sehr schwer mit „bagatellisieren“. Ich denke nicht, dass die Mehrheit versucht etwas zu verniedlichen, als unbedeutend hinzustellen – vielmehr ist ein „achso, ja, geht mir auch manchmal so“ eher der Versuch die Gefühlslage des Gegenüber zu verstehen, einordnen zu können. Es ist also vielleicht viel mehr ein Schritt auf Sie / Dich zu, wenn auch einer, der vielleicht anders ankommt als er gemeint ist.
Wo ich allerdings voll dabei bin ist „stell dich nicht so an“. Das geht gar nicht. Aber…das geht auch bei nicht-Autisten nicht 🙂
Wenn mir jemand sagt, er habe schlimme Schmerzen, ihm sei sehr unwohl etc etc, dann ist es nicht an mir zu behaupten, es sei gar nicht so. Das wäre sehr vermessen. Als Vater von 2 Jungs (Alter 8 und 5) muss ich mich da immer wieder zusammen reißen und darauf achten, die Gefühlswelt meiner Knirpse exakt so ernst zu nehmen, wie sie sie empfinden.
Noch einmal: „Ich bin Autist“ sehe ich niemals als Ausrede, sondern als Erklärung, die es anderen leichter machen könnte, Dinge vielleicht auch einfach als gegeben hinzunehmen.
Mein Punkt ist lediglich, dass manche Wahrnehmungen oder Gefühle vielleicht gar nicht dem Autismus zuzuschreiben sind, sondern einfach dem Mensch-Sein.
LG
André Wolff
P.S. Ich lege keinen sonderlichen Wert darauf, mit „Sie“ angesprochen zu werden, richte mich gerne danach, wie es hier bevorzugt wird. Ich selber bin eindeutig ein „Du“-Mensch 🙂
Ich sehe das nicht so kritisch bzw. nicht als Angriff auf die eigenen Empfindungen. Ich denke, dass die Floskel für NTs durchaus funktioniert, soll sie doch zeigen: ich verstehe, was Du fühlst (oder glaube, es zu verstehen), und möchte meine Anteilnahme zeigen.
Ich gestehe auch, dass ich wenig Hemmungen habe, diese Floskel selbst zu gebrauchen.
Den Anspruch, das der Sagende damit Bezug auf die gesamte Tragweite meiner Empfindungen nimmt, habe ich gar nicht erst – und halte das auch nicht für unfreundlich von mir.
Ich benutze dieses „auch“ für mich selber ebenfalls oft. Ich betreue zwei Asperger Kinder, die Kinder meiner Freundin. Ich muss mir ganz oft sagen, dass mich dieses oder jenes jetzt eben _auch_ stört- Lautstärke, Gedränge, Farbenflut, nur als Beispiele. Wenn ich mir nämlich vor Augen führe, dass MICH das schon nervt, wie schlimm muss es dann für die beiden Kinder sein? Die nervt es ja nicht nur, die beiden können das ganz einfach nicht ertragen.
Ich versuche mich hineinzudenken, soweit mir das als NT Mensch möglich ist. Ich finde, in dem Fall hilft dieses „auch“, besser mit der Situation umzugehen, und ich kann auch in stressigen Situationen ruhig(er) bleiben und angebracht reagieren.
Wenn man sich dieses „auch“ nicht vor Augen führt, dann sieht man nämlich nur zwei ungezogene Kinder, die durchdrehen und über Tische und Bänke gehen, die einfach „ohne Grund“ andere Kinder schlagen.
Wenn ich mir das „auch“ bewusst mache kann ich Sitiuationen direkt von Anfang an entschärfen. Ich habe nämlich selber drei Kinder, und da geht es schon mal hoch her, wenn unsere Nachbarskinder zu Besuch sind. Und dann nervt mich der Krach eben „auch“ ganz oft…
Aber natürlich hast Du recht, das „auch“ darf nicht als Verharmlosung benutzt werden, denn auch wenn uns NT Menschen Situationen nicht leicht fallen ist das kein Vergleich zum Autismus.
Danke für Deinen informativen Blog, er hat auch mit geholfen meine Nachbarskinder zu verstehen.
Liebe Grüße
Katha
Dieses „Auch“ kann, wie hier beschrieben, durchaus positiv sein.
Bei meinem Sohn hat es Verwunderung ausgelöst, dass seine Lehrerin erklärt hat, dass sie im ÖPNV es auch nicht aushält und sie ihn dafür bewundert, dass er es trotzdem tut. Und nun besser verstehen kann, warum er bereits morgens „fertig“ und „latent gereizt“ in der Schule ankommt.
Ich habe auch erlebt, dass dieses Auch durchaus auch ein Zeichen von Nachdenken ist. Bei einer Schulung von Lehrern wurden diese in eine Situation geführt, wo bis zu 5 Reize gleichzeitg in „massiver“ Form auf sie „einprasselten“. Ihr „Auch“ relativierte sich dadurch.
Aber wir müssen dranbleiben, dieses Wissen und die Erinnerung wachzuhalten bzw. zu wecken..
Hallo!
aus der Sicht einer vielleicht ganz normalen Frau, oder auch nicht oder – wer weiß das heute schon : Bei mir ist es meistens so, dass ich mich mit diesem Wörtchen versuche jemandem mitzuteilen, dass ich mich zumindest ein bisschen einfühlen kann. Ich habe keine Ahnung _wie_ schlimm eine bestimmte Situation für jemanden anderen sein kann, aber wenn sie für mich schon schlimm ist, wie schlimm muss sie dann für jemanden anderen sein?
Ich zum Beisiel kann Menschen nicht erkennen wenn sie nicht reden oder gehen. Und das hat mich schon in so manche seltsame Situation gebracht. Und zwischenmenschlicher Kontakt ist zwar vorhanden, aber ich kann in den Gesichtern der Menschen nicht lesen. Das ist ziemlich doof. Und extrem unpraktisch. Und wenn dann jemand mir so etwas erzählt, versuche ich mit dem „das kenne ich, so geht es mir auch“ zu signalisieren, dass ich ähnliche Probleme habe, und dem entsprechend einfühlen kann wie schwierig das ist.
Ich denke auch, dass es viele gibt, gerade Behörden, oder Menschen die Forderungen an einen stellen, die daraus einen Vorwurf machen. Aber eben vielleicht manchmal auch andere.
z.B.: Ich kann auch nicht gut telefonieren impliziert die Frage des „wie können wir dann in Kontakt bleiben, wie soll ich mich melden wenn ich es möchte. möchtest du das überhaupt? “ Bei mir zumindest *rotwerd*
Liebe Grüße
abraxa
ich habe erst vor ein paar Tagen etwas über „Verstanden werden“ geschrieben basierend auf den Blog „Mitgefühl“ von Realitästsfilter.
In meinem Artikel steht ebenfalls: „Den Satz, das kenne ich aber auch oder das haben viele, kann ich mittlerweile nicht mehr lesen/hören.“
Ich habe ihn nur nicht bei Twitter veröffentlicht 🙂 weil ich denke, dass er nicht gut genug vermittelt was ich meine.
Daher danke für deinen Blog!
Das Nicht-Verstandenwerden ist in dem Zusammenhang sicher ein zentraler Punkt. Menschen können sich autistische Wahrnehmung nicht vorstellen und vergleichen dann mit der ihren. Uns geht es ja auch nicht anders. Wir können uns die nichtautistische Wahrnehmung auch nicht vorstellen, weil wir sie nicht erleben. Dadurch kommt es immer wieder zu einem Missverstehen. Auf beiden Seiten. Daher ist es mir wichtig, über meine Sichtweise zu schreiben, um aufzuklären darüber was Autismus ist und was Autismus nicht ist.
Ich habe deinen Artikel vom „Verstanden werden“ über deinen Twitter-Account übrigens gefunden. 😉
Pingback: Verlinkung zu einem anderen Blog « Sunnys Space
Ein großartiker Artikel. Ich deke, dass das „Auch“ wirklich bei vielen Menschen als eine Art Vorwurf zu verstehen ist in dem Sinn „Das ist doch gar nicht so schlimm – ich muss damit ja ebenfalls umgehen können“, aber manchen vereinzelten Menschen wird es vielleicht falsch ankommen und eher als ein Versuch des Einfühlens in dieses Handicap sein – das versucht wird zu verstehen…. Ich hoffe übrigens, dass die Verlinkung Deines Artikels auf meiner Seite (http://sabrinastolzenberg.wordpress.com/) für Dich ok ist – wenn nicht schreib mir bitte 😉 GlG Sabrina
Selbstverständlich darfst du meinen Blogeintrag verlinken, Sabrina.
Danke auch für deinen Kommentar. Für mich ist es wichtig, die Sichtweise anderer zu erfahren. Oftmals ist die Innensicht ja eine ganz andere als die Außensicht, also die der nichtautistischen Menschen.
Ich bin AUCH wahnsinnig lärmempfindlich. Wirklich ganz extrem. Aber kein Autist.
Und ich kann AUCH das Gedränge absolut nicht ertragen in vollen Bussen. (bis zum Zusammenbruch)
Vermutlich wollen dir die auch-Sager mitteilen, dass es schön ist, dass auf dich deswegen Rücksicht genommen wird, während es bei uns „normalen“ Menschen okay ist….
Aus uns spricht der Neid, weil du eine Ausrede dafür hast…
Gosi, es wird ja eben keine Rücksicht geommen, weil viele Menschen die Situation durch ihr „Auch“ herunterspielen oder behaupten, ich würde z.B. meine Lärmempfindlichkeit nur als Ausrede benutzen, um mich vor etwas zu drücken. Der Rollstuhlfahrer benutzt seinen Rollstuhl auch nicht als Ausrede, um eine Treppe nicht zu Fuß hinaufgehen zu müssen. Er kann es nicht. Aber von autistischen Menschen wird erwartet, dass sie z.B. eine Situation, in der es unerträglich laut ist, aushalten. Und wenn man es nicht kann, heißt es, man stelle sich bloß an.
Autismus ist keine Ausrede. Aber so lange Menschen das so sehen, werden wir darum kämpfen müssen, endlich ernst genommen zu werden.
Hallo Gosi,
meiner Meinung nach ist das ein sehr großer Unterschied.
Ich mag ebenfalls keine großen Menschenmengen (werde bleich, bekomme keine Luft) und auch keinen Lärm – nun kommt aber das ABER:
Mein autistischer Sohn mag das auch nicht, er jedoch kann das nicht so händeln wie ich.
Er ist schlicht und einfach nicht in der Lage die Schultreppe runterzugehen, wenn das noch 3 – 4 oder gar mehrere Kinder tun. Er stellt sich immer hinten an, wenn sich jemand hinter ihn stellt, weil er dieses „Gefühl“ der Enge unerträglich findet (und eine Menge ist nicht für jeden die gleiche Menge).
Lärm macht mich beispielsweise total nervös und je mehr Lärm oder Geräuschquellen dazu kommen, desto nervöser werde ich…..allerdings habe ich keinen Overload und kann ganz logisch versuchen die Geräuschquellen zu meiden, leiser zu stellen oder zu verhindern.
Ich renne nicht im Kreis durch die Wohnung und haue mit beiden Händen an meinen Kopf.
Nichtautistische Menschen haben recht schnell sehr gute Strategien zur Hand, bei autistischen Menschen ist das nicht so einfach.
Grüßle
Danke für diesen mutigen Artikel! Ich bin soeben als Mutter eines erwachsenen Autisten an dieses „auch“ gestoßen. Ein Antrag auf Betreuung in finanziellen Angelegenheiten wurde vom Gericht und vom Gutachter abgelehnt, weil „auch“ andere Menschen nicht die Konsequenzen aus Verträgen absehen könnten, weil „auch“ Autisten lernen könnten, aus ihren „Fehlern“ zu lernen.
Ich stoße oft an dieses „auch“ und es tut körperlich weh, weil es mir nicht immer gelingt, als Nicht-Autistin anderen Nicht-Autisten Autismus zu erklären. Ich kann ihn als Mutter oft nur erspüren, erahnen und habe doch nie das gaze Ausmaß erfasst.
Ich glaube Menschen sprechen mit diesem „auch“ die Befürchtung aus, dass sie DAS evtl. auch haben. Bei mir (NT) ist das jedenfalls oft so.
Das ist sicher auch ein Grund für dieses „Auch“, aber ein eher seltener. Wenn alle die Menschen, die mir oder anderen AutistInnen gegenüber dieses „Auch“ schon geäußert haben, vermuten würden, selber betroffen zu sein, gäbe es fast nur noch VerdachtsautistInnen.
Sie können ja auch nur bei AutistInnen so darauf reagieren. Das muss Dir ja subjektiv viel vorkommen.
Ich bin sicher, wenn jemand von seiner Krebsdiagnose erzählt oder wenn Männer von ihrer Prostatadiagnose erzählen, geht es denen genauso.
Endlich!!!
Endlich hat es mal jemand beschrieben. Ich soll Autismus beschreiben, ich weiß aber nicht wie! Dabei gehöre ich zu den Menschen, die Autismus gerne begreifen würden und beschreiben möchten, weil mein Sohn Autist ist. Ich habe also ein doppeltes Handikap. Ich soll begreifen, wie es ist autistisch zu sein UND ich werde aufgefordert es anderen zu erklären. Wie denn, bitteschön? Ich fühle mich da genau so behindert, weil ich es nicht erklären kann! Und ich fühle mich da genauso behindert, weil ich es nicht fühlen kann. „Was, Ihr Sohn braucht einen Assistenten? Was soll den dieser tun? Wo ist denn das Handicap? Sie können es nicht beschreiben oder bildlich darstellen? Dann haben sie auch keinen Anspruch auf Assistenz! So war die Ansicht der Agentur für Arbeit im Jahr 2006. Inzwischen haben wir uns da ein paar weitere Jahre vorwärts durchgehungert. Inzwischen gibt es auch andere Gerichtsurteile und Verwaltungsvorschriften, dass Autisten sehr wohl einen Anspruch auf Assistenz haben! Bei der Arbeit und auch sonst im Alltag! Was aber geblieben ist, dass der neurotypische Mensch (NT) immer noch das Handicap hat, nicht zu begreifen wie Autismus geht. Was ihm fehlt ist eine Krücke! Oder die Vorstellung, wie ein NT Autismus imitieren kann. Allein der Versuch dieser Darstellung, wie armselig ich mich als Mutter eines Autisten fühle, mit dem Anspruch , Autismus zu begreifen und dann auch noch so vermessen sein zu wollen, es Anderen zu erklären, ist hilflos. Was fehlt, ist eine Brücke – oder wir haben sie einfach noch nicht gefunden – oder gibt es so eine Brücke etwa gar nicht als Ganzes?
Das Wort „begreifen“ trifft es zu hundert Prozent. Ich kann etwas sehen, das ich auch anfassen kann. Oder etwas nicht sehen, was ich trotzdem anfassen kann. Ich kann es „begreifen“ oder fühlen. Als behinderter Mensch habe ich bei mir selbst Optionen, einen Nachteil auszugleichen. Wenn ich nicht sehen kann, Ich kann mir die Augen zuhalten, um zu imitieren, wie es ist blind zu sein. Wenn ich blind bin, benutze ich andere Sinne, etwa das Gehör, um mich zu orientieren. Wo ist Bahnsteig 9? In Laufrichtung links oder rechts? Muss ich eine Treppe runter? Gibt es einen Fahrstuhl? Wie weit weg ist es? Ein Blinder kann es herausfinden. Jemand der nicht laufen kann, hat Glück, wenn es einen Fahrstuhl gibt. Viele Körperbehinderte haben ein eine „große Klappe“, die ihnen weiter hilft. Aber was macht ein Autist, um die Hindernisse auf dem Weg zu Bahnsteig 9 zu meistern?
ICH WEISS ES NICHT !!! Ganz einfach, weil es nicht DEN AUTISTEN gibt!!
Ich würde gerne beschreiben, wie mein Sohn als Autist so ist, aber das kann ich gar nicht. Ich kann mich nicht einmal selbst beschreiben, weil es auch ohne Autismus sehr schwer ist, sich selbst einzuschätzen. Oder bin ich vielleicht auch eine Autistin?
Hallo,
ich sehe das Problem auch darin, daß der Übergang von NT zu Autismus fließend sein kann. Ist die Einschränkung (zum Beispiel die Lärmempfindlichkeit) zwar vorhanden, aber nicht so heftig, dann versuchen NT-Menschen manchmal, zu verstehen, was nun eigentlich das Problem ist. Das ist nicht unbedingt mit Vorurteilen gleichzusetzen.
Aber auch der Übergang zwischen Neugierde (und der Suche nach Gemeinsamkeiten/Unterschieden) und Vorurteilen, wie Du sie schilderst, ist fließend. Man muß immer aufpassen, wie so ein „auch“ gemeint ist — und das ist für unsereins wiederum nicht immer so einfach.
Ich habe dieses „auch“ jedenfalls öfter als den Versuch gesehen, meine Probleme zu verstehen, und seltener als Versuch, meine Probleme herunterzuspielen, obwohl es letzteres auch schon gab. Mit dem „auch“ kann ja ebenso ein gewisses Verständnis ausgedrückt werden: Wer aus anderen Gründen als Autismus Gedränge und Menschenmassen nicht abkann, zum Beispiel wegen einer Sozialphobie, hat eher Verständnis dafür als jemand, der damit keine Schwierigkeiten hat.
Gruß, Frosch
Nicht nur Autisten, alle möglichen Menschen mit nicht-gleich-sichtbaren Erkrankungen erleben das so. Ob es nun beispielsweise Depressionen sind („wir sind alle mal traurig, und dann reißen wir uns eben zusammen“) oder ADS („ich kann mich auch oft nicht gut konzentrieren, strenge ich mich eben an“). Die Krankheit wird nicht Ernst genommen, es wird mangelnde Bemühung, Faulheit, Weinerlichkeit, Haschen nach Beachtung unterstellt.
Genauso sehe ich das auch. Und es geschieht halt in der Regel dort, wo die Behinderung/Krankheit nach außen hin nicht sichtbar ist.
Vielen Dank für diesen Artikel. Er regt mich echt zum Nachdenken an. Denn ich Nicht-Autist benutze dieses „auch“ auch häufiger.
Es stimmt, in den meisten Fällen bagatellisiert das „auch“. Was habe ich mich über meine Mutter aufgeregt, als ich ihr die Andersartigkeit meiner Tochter versuchte zu beschreiben und von ihr ständig dieses „auch“ kam. Genau das Gefühl dass sie es nicht ernst nimmt, hatte ich in dem Moment.
Warum benutze ich aber dieses „auch“? In meinem Fall ist es so, dass ich selbst hochsensibel und sehr empathisch bin. Das ist selbstverständlich etwas völlig anderes als Autismus. Allerdings gibt es Symptome, die dort äußerlich betrachtet genauso sind. Da sind dann z. B. laute Geräusche auch unerträglich. Die Ursache ist jedoch eine andere. Darf man dann das „auch“ nicht benutzen? Ich denke mal, SO war das sicher nicht gemeint. Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, weil er das Bein gebrochen hat, dann ist es ja auch nicht das selbe wie einer der querschnittsgelähmt ist. Trotzdem sitzen in dem Moment beide im Rollstuhl und haben mit gleichen Problemen zu kämpfen (z. B. Treppen).
Es ist also gar nicht so einfach zu entscheiden, wann bagatellisiert wird und wann das „auch“ eine andere Bedeutung hat, nämlich dass man sich in diese Situation tatsächlich „hinein denken“ kann, weil man ähnliche Erfahrungen hat (eine typische Nicht-Autistische Eigenschaft). Ob das „auch“ in der einen oder anderen Weise benutzt wird, kann man wohl nur durch gezieltes Nachfragen heraus finden. In meinem Fall kann ich jedenfalls versichern, dass ein „auch“ von mir nie bagatellisierend gemeint ist.
Sicher ist das „Auch“ nicht immer bagatellisierend. Wenn mir zum Beispiel meine Betreuerin sagt, dass sie den Lärm auch unerträglich findet, dann sagt sie mir damit, dass sie verstehen kann, warum ich mir die Ohren zuhalte oder den Ort, an dem es so laut ist, so schnell wie möglich verlassen will bzw. muss.
Sicher kann es in manchen Situation zu Missverständnissen führen, was den Gebrauch des Auchs betrifft. Meistens ergibt es sich aber aus dem unmittelbaren Kontext, wie das Auch gemeint ist, es sei denn, jemand sagt etwas anderes als er meint. Dann wird es schwierig, weil ich das nicht wahrnehme.
ein sehr wahrer Text, ich stoße nahezu Täglich auf dieses Wörtchen (auch) und es nervt mich Gewaltig. Sie haben immer all das was ich auch habe….. nur wenn sie dann sehen wie ich auf den Boden zusammen sinke, dabei mir noch die Ohren zu halte, dann gibt es dort kein auch. Nein so was kennen sie dann nicht. Und halten mich für völlig verrückt. Aber na ganz klar am nächsten Tag ist ihnen auch alles viel zu laut *grrrrr*
absolut richtig sam. Solange man mit harmlosen Worten beschreibt, warum man auf Veranstaltungen oder zu gewissen Anlässen gerne Begleitpersonen hat, die einem gewissen Schutz, Rückhalt, Sicherheit bieten, heißt es: „Ja, kann ich nachvollziehen ist auch mir lieber, wenn es ruhiger zugeht.
Ensteht eine Situation in der ich dann doch zusammenbreche, hätten sie niiiieeeeeee erwartet, das ich sooooooo überempfindlich reagiere.
Die begreifen das nicht und wollen das nicht begreifen. Denn, so erkläre ich mir deren Versuche die Schwierigkeiten zu bagatellisieren, sie erwarten ein minimum an Anpassung, damit ihr Tag und ihre Situation nicht durch solche unschönen Zusammenbrüche gestört wird.
Damit sie keine übermäßige Rücksicht nehmen müssen. Damit sie weiter neben uns grölend, kreischend, parfümiert und rauchend dumm labern können.
Wir haben das als normales zwischenmenschliches Miteinander auszuhalten. Darum sagen sie uns:
„Ja, habe ich auch.“
Was so viel heißt, wie: “ Reiß dich zusammen und wenn du zusammenklappst, dann bitte da, wo es keinen stört“.
So ist es leider in vielen Fällen. Und dann gibt nur zwei Möglichkeiten, wie auf einen Zusammenbruch reagiert wird: Entweder wird man für verrückt gehalten oder es wird unterstellt, dass man sich bloß anstellt bzw. übertreibt. So schlimm kann es schließlich nicht sein, weil andere auch (um bei dem Beispiel zu bleiben) lärmempfindlich sind.
Bei mir tritt fast ausschließlich die zweite Reaktion auf. Denn als Asperger bin ich eben nicht konstant autistisch. Das heißt, ich habe auch gute Funktionstage an denen ich sehr angepasst und gemessen an den Mitmenschen „normal“ rüberkomme.
Wieviel mir das abverlangt, das sieht ja keiner!
Aber ich bemühe mich da ich nur so auch ein MItmensch bin. Und ich bin eben lieber ein Mitmensch als ein Ohnemensch.
Das traurige ist aber, dass eben aus dieser manchmal guten Funktion heraus unser eigentliches Problem nicht Ernst genommen wird. Die Messlatte wird hoch gehängt und was gestern so gut lief, soll heute eben auch gut laufen. Das wir nach einem guten Tag meist längere Erholungsphasen benötigen, wird nicht akzeptiert.
Ich möchte nicht undankbar sein. Ich bin froh darüber, dass wir nicht nur konstant eingeschränkt sind. Es könnte also schlimmer sein.
Dennoch sind wir, die nur von 7 Tagen 4 Tage gut funktionieren alles andere als geeignet für die Schule, für das Arbeitsleben und eben diese nichtautistisch ausgerichtete Gesellschaft.
Entsprechend ist bei Nichtbeachten und ohne Nachteilsausgleiche der Begriff Teilhabe an der Gesellschaft ja wohl nicht zutreffend.
Wenn das mal endlich kapiert würde von denen die 8 Stunden locker arbeiten können und aufrecht dabei bleiben, gesund und mit Freude Schule durchstehen und einiges mehr. Dann müssten wir uns nicht solche demütigenden Aussagen anhören.
Die gehören sich einfach nicht.
ich spreche es keinen ab, dass man nach 8 Arbeitsstunden geplagt und rechtschaffend müde ist. Oder auch mal Tage hat, an denen man eher Unlust verspürt.
Diese können sich aber niemals auf gleicher Stufe stellen mit denen, die gerne am normalen Arbeitsleben teilnehmen würden, wenn sie es irgendwie bewerkstelligen könnten. Oder mit Schülern, die kaum irgendwie eine Schulwoche ohne Zusammenbrüche überstehen können.
Was Autismus im einzelnen für die Betroffen heißt ist sicher unterschiedlich. Aber eines ist es niemals, eine Ausrede oder eine Gelegenheit sich Vorteile zu schmarotzen.
Ich gebe mir gerne Mühe für die Menschen, die mir sagen: “ Ich weiß wie schwer es dir fällt und „darum“ ist es bewundernswert, was du leistest.
Ich gebe mir keine Mühe mehr für die Menschen, die sagen: “ Ich habe auch schlechte Tage, aber da muss man eben durch.“
Bei mir tritt auch überwiegend die zweite Reaktion auf. Du hast das sehr gut beschrieben, Regine. Danke.
Ich bin übrigens auch lieber ein Mitmensch als ein Ohnemensch, auch wenn es oft mit sehr viel Stress verbunden ist, weil ich Mitmensch in der Regel nur dann sein kann, wenn ich mich anpasse und die Kraft hierfür begrenzt ist. Da suche ich mir mittlerweile auch die Menschen aus, für die ich gerne bereit bin, diese Kraft aufzubringen, weil ich mit meinen Kraftreserven haushalten muss. Sie stehen mir nun einmal nicht unbegrenzt zur Verfügung.