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„Das geht mir genauso.“
„Ich kann Lärm auch nicht ertragen.“
„Mich stören die vielen Menschen auch.“
„Ich bin auch gerne alleine.“
„Ich mag grelle Farben auch nicht.“
„Ich bin auch geruchsempfindlich.“
„Ich verstehe Ironie auch nicht.“
„Ich telefoniere auch nicht gerne mit fremden Menschen.“
„Ich kann manche Berührungen auch nur schwer ertragen.“
Auch – auch – auch.
Immer wieder dieses Auch mit dem ich konfrontiert werde, wenn ich Menschen erläutere, was es für mich bedeutet, autistisch zu sein.
Was impliziert dieses Auch im Zusammenhang mit Situationen, in denen ich beschreibe, warum ich anders bin, was mein Anderssein beinhaltet?
Wollen mir die Auch-Sager mitteilen, dass ich gar nicht so anders bin, weil sie selber gleich empfinden?
Heben sie mit ihrem Auch mein Anderssein auf? Und wenn ja, aus welchem Grund? Geschieht das, weil sie mir damit sagen wollen, dass ich genauso bin wie sie beziehungsweise sie genauso sind wie ich – dass es keinen großen Unterschied gibt zwischen nichtautistischen und autistischen Menschen, dass meine autistische Wahrnehmung gar nicht so anders ist wie ihre neurotypische Wahrnehmung?
Ihr Auch verunsichert mich.
Wenn ein blinder Mensch beschreibt, welche Probleme er im Alltag hat, wird niemand antworten, dass es ihm genauso geht, dass er die gleichen Schwierigkeiten hat.
Bei autistischen Menschen geschieht das aber immer und immer wieder.
Warum?
Hängt es damit zusammen, dass in den Fällen, wo eine Behinderung oder ein Anderssein nach außen hin sichtbar ist, niemand erwartet, dass beispielsweise ein Blinder lesen oder ein Rollstuhlfahrer laufen kann? Dass man bei einem Blinden nicht in Frage stellt, dass er nicht sehen kann? Bei autistischen Menschen hingegen wird immer wieder in Frage gestellt, ob sie etwas auf Grund ihrer autistischen Wahrnehmung nicht können.
In einem solchen Moment kommt dann das Auch ins Spiel.
„Du fährst nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil du die vielen Menschen und das Gedränge nicht ertragen kannst? Ich mag das auch nicht und muss trotzdem jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit fahren.“
Würde jemand zu einem Rollstuhlfahrer sagen: „Du fährst nicht mit dem Zug, weil es an der Haltestelle keinen Aufzug gibt? Ich mag es auch nicht, Treppen zu Fuß hinaufgehen und fahre trotzdem jeden Morgen von dieser Haltestelle aus zur Arbeit.“? Wohl kaum.
Warum also bei AutistInnen?
Liegt es ausschließlich daran, dass für viele Menschen nicht sein kann, was sie nicht sehen? Dass Erklärungen, warum man etwas nicht kann, nicht ausreichen oder sogar als Ausrede gesehen werden. Dass Nicht-können mit Nicht-wollen gleichgesetzt wird? Dass von AutistInnen erwartet wird, dass sie sich nichtautistisch verhalten, weil es schließlich auch nichtautistische Menschen gibt, die lärmempfindlich sind, Berührungen nicht ertragen, Probleme mit sozialen Kontakten haben etc.?
Oder gibt es noch einen weiteren Grund für das ständige Auch?
Wenn andere Menschen die Schwierigkeiten, mit denen AutistInnen täglich konfrontiert werden auch haben, dann kann das ja alles nur halb so schlimm sein.
Das Auch bagatellisiert.
Die Lärmempfindlichkeit eines autistischen Menschen kann so schlimm nicht sein, wenn andere Menschen auch lärmempfindlich sind. Daraus resultierend rechtfertigt sie auch keine besondere Rücksichtnahme.
„Der Lärm kann zu einem Overload führen? Stell dich nicht so an. Ich bin auch lärmempfindlich.“
Mit Aussagen wie dieser werden AutistInnen im Alltag häufig konfrontiert. Sie führen dazu, dass sich autistische Menschen nicht ernst genommen fühlen. Dass sie spüren, dass das Verständnis für ihr autistisches Sein und für das damit verbundene Verhalten in der Gesellschaft oft fehlt oder missverstanden wird.
Das Auch verharmlost nicht nur, es schafft auch Vorurteile.
Vorurteile, die ich aus eigener Erfahrung kenne:
– Du bist nur zu faul.
– Du musst dich nur ein bisschen mehr anstrengen.
– Du stellst dich bloß an.
– Du willst nur nicht.
Vorurteile, die dazu führen, dass man sich immer wieder rechtfertigen muss für sein Verhalten und für sein Anderssein. Schlimm genug, dass man sich ständig rechtfertigen muss.
Aber was folgt, wenn man sich mit Worten zu erklären versucht?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Auch-Satz.
Ein Auch, welches wieder verharmlost – Autismus verharmlost.
„So schlimm ist das doch alles gar nicht, schließlich kenne ich das von mir auch.“