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Bis heute nichts. Genauer ausgedrückt bis zu dem Zeitpunkt nichts, wo ich den Zeit-Online-Artikel über den Harlem Shake mit der Überschrift
„Die Zauberlehrlinge machen Party“ gelesen habe. Dort steht unmittelbar über einem Bild, welches vor der Leibniz-Universität in Hannover gemacht wurde und eine Menge tanzender, zum größten Teil wie im Karneval verkleideter Menschen zeigt:

Harlem Shake, der Internet-Schütteltanz, ist die Antwort auf den sexuellen Autismus unserer Gegenwart.

Was bitte schön ist sexueller Autismus?
Und was hat der Harlem Shake mit Autismus zu tun, außer der Tatsache, dass Autismus hier wieder einmal als journalistisches Stilmittel herhalten muss, weil es gerade „in“ ist, Autismus als Metapher zu nutzen, um etwas auszudrücken, was mit der Diagnose Autismus nichts zu tun hat – Egozentrik und Narzissmus.

Ich frage mich, warum Autismus von einigen JournalistInnen immer wieder missbraucht wird.
Ist es so schwer, sich präzise auszudrücken, die richtigen Worte zu finden für das, was man seiner Leserschaft mitteilen möchte? Oder ist Autismus mittlerweile zu einem journalistischen Schlagwort geworden, welches man benutzt, ohne sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, was man schreibt?
Ist noch keiner der JournalistInnen auf die Idee gekommen, dass sich autistische Menschen durch ihren Wortmissbrauch diskriminiert fühlen könnten? Denn entgegen der oft vertretenen Meinung, AutistInnen hätten keine Gefühle, möchte ich an dieser Stelle betonen, dass wir sehr wohl Gefühle haben und diese entsprechend durch den Missbrauch des Wortes Autismus verletzt werden können.

Ich fühle mich diskriminiert, wenn ich im weiteren Verlauf des Artikel diesen Satz lese:

Auch der Harlem Shake ist keine haltlose Autistenparty, sondern eine kollektive Antwort auf den sexuellen Autismus, den die mediale Pornodienstleistung bierernst provoziert.

Geht es noch, Frau Harms?
Eine haltlose Autistenparty, was bitte soll das sein?
Machen Sie sich lustig darüber, dass AutistInnen in Überforderungssituationen zappeln und mit den Händen flattern und in solchen Momenten ihren Körper nicht kontrollieren können?
Wenn ja, dann kann ich darüber nicht lachen. Obwohl ich den Harlem Shake und die in dem Tanz praktizierten Körperverrenkungen an sich schon sehr amüsant finde. Aber ohne eine Verbindung zu einem sexuellen Autismus, von dem ich nicht einmal verstehe, was Sie damit überhaupt ausdrücken möchten.

Ich kann dazu nur eines sagen:

Ich verwehre mich gegen diese Form von Missbrauch des Wortes Autismus.

Und ich möchte an dieser Stelle auf andere Artikel hinweisen, die sich ebenso mit der Thematik auseinandergesetzt haben und Kritik üben an der missbräuchlichen Wortverwendung:

So ein bisschen Autismus – Querdenkender
Umgang mit dem Wort Autismus in den Medien – Torben Friedrich
Nochmal Autismus – die ennomane
Gut, dass wenigstens die Medien Bescheid wissen – Autzeit
Bedeutungswandel – Realitätsfilter
Der mediale Autist und Autismus und seine Autistenpartys – TrojaAs Blog
Merkbefreit Online – sanczny
Wortverfremdung – TageshausChaos

Sie sind im Übrigen heute nicht alleine, Frau Harms, was den journalistischen Wortmissbrauch betrifft, sondern finden sich in bester Gesellschaft mit Frau Fehr, die einen Artikel im Politblog des Schweizer Tages-Anzeigers mit der Frage „Leidet die Wirtschaftselite an gesellschaftlichem Autismus?“ tituliert.