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Autismus-Schubladen gibt es viele und man wird sehr schnell in eine solche gesteckt, sobald man sich in der Gesellschaft als AutistIn outet. Auch die Medien bedienen sich immer wieder dieser Schubladen.

Die Regenmänner-Schublade

An erster Stelle steht hier das im Zusammenhang mit Artikeln zum Thema Autismus verwendete Bild vom Rainman, welches nicht nur mit Worten, sondern auch durch Veröffentlichung eines Bildausschnittes aus dem gleichnamigen Film mit Dustin Hoffman und Tom Cruise vermittelt wird. Mit dem Bild assoziieren Menschen die in dem Film dargestellten, autistischen Verhaltensweisen, die aber trotz guter, schauspielerischer Leistung, nicht unbedingt autismustypisch sind. Aber die Regenmänner-Schublade ist beliebt – auch heute noch. Es gibt sogar ReferentInnen, die ihren Vortrag über Autismus mit diesem Bild beginnen. Vielleicht aus dem Grund, weil es bei den meisten Menschen einen Aha-Effekt auslöst. Mich erinnert es an eine Szene aus dem Film „Snowcake“, in der eine Nachbarin der Autistin sagt:
“Ich weiß, was Autismus ist. Ich habe diesen Film gesehen.“
Schublade auf, AutistIn rein, Schublade zu. Doch so einfach ist das nicht.
Wer Rainman gesehen hat, weiß nicht automatisch, was Autismus ist. Ich kenne keinen Menschen mit einer Autismusdiagnose, der Rainman ähnlich ist. Ein Grund hierfür ist, dass Dustin Hoffman in dem Film einen Savant gespielt hat, also weder einen frühkindlichen noch einen Asperger-Autisten. Die in dem Film dargestellte Inselbegabung ist ein typisches Merkmal der Savants. Leider wird sie bis heute immer noch mit dem Spezialinteresse autistischer Menschen verwechselt, weshalb die Rainman-Schublade ein verzerrtes Bild von Autismus wiedergibt.

Schubladendenken schafft Vorurteile

Bei anderen Autismus-Schubladen ist die Situation ganz ähnlich. Sie basieren in den meisten Fällen nur auf Klischeevorstellungen. Auf keinen Fall erfassen sie die Bandbreite von Diagnosekriterien der Autismus-Spektrum-Störungen, sondern lediglich einige, oft mit Vorurteilen behaftete Eigenschaften oder Verhaltensweisen. Da gibt es zum Beispiel das Bild von dem sabbernden, nicht sprechenden Autisten, der den ganzen Tag mit dem Oberkörper wippend in einer Ecke sitzt. Oder die Schublade geistige Behinderung, derer sich die Medien oft bedienen, wenn sie über Autismus berichten.
Einmal in eine dieser Schubladen gesteckt, bekommt man entweder die Verhaltensweisen übergestülpt, egal, ob sie passend sind oder nicht oder die Autismusdiagnose wird von Außenstehenden angezweifelt, weil man nicht in diese Schubladen passt.

Ich erinnere mich da an eine Begebenheit, die mir vor zwei Jahren passiert ist. Ich hatte zu einem Zeitungsartikel über die Modediagnose Autismus online einen Kommentar geschrieben und dort meine kritische Sicht als Autistin geschildert, worauf der Redakteur antwortete, ich könne keine Autistin sein, weil ich nämlich, wäre ich autistisch, gar nicht in der Lage sei zu schreiben. Schlimmer noch, er fühlte sich sogar von mir provoziert, weil ich so tun würde, als sei ich eine Autistin. Dabei kann ich genau das nicht – so tun als ob.

Die Autismus-Schublade in den Medien

Die Medien bedienen sich gerne vorhandener, häufig veralteter Klischeevorstellungen in der Berichterstattung über das Leben autistischer Menschen. Das Schlimme daran ist, dass dadurch der Gesellschaft ein falsches oder zumindest sehr einseitiges Bild von AutistInnen vermittelt wird, welches sich in den Köpfen der Menschen festsetzt.

Asperger-Syndrom: Blind für die Emotionen anderer Menschen.
So lautete Ende letzten Jahres die Schlagzeile eines Artikels über den Amoklauf in Newtown, welcher sehr schnell ähnliche Aussagen in diversen Zeitungen folgten. Autismus wurde plötzlich mit Massenmördern und Amokläufern in Verbindung gebracht, obwohl nicht einmal erwiesen war, ob der Amokläufer überhaupt autistisch war. Die Medien hatten ihre Schlagzeile und Autismus eine neue Schublade. Eine Schublade, in die kein autistischer Mensch passte, aber wegen der die Gefahr einer Stigmatisierung durch die Herstellung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Autismus und Gewalttaten auf einmal sehr groß war.

Dieses Beispiel zeigt die Macht des geschriebenen Wortes und ist gleichzeitig ein Appell an die Medien, sich der Folgen ihrer Berichterstattung und damit auch ihrer Verantwortung, die sich daraus ergibt, bewusst zu werden und entsprechend zu handeln. Die Berichterstattung über den Amoklauf in Newtown hat bewiesen, wie schwer sich die Medien getan haben, das durch ihre Worte entstandene Bild von Autismus nach massiver Kritik einiger AutistInnen und Eltern autistischer Kinder im Nachhinein zu korrigieren. Und sie hat eine neue Autismus-Schublade geschaffen, der sich einen Monat später erneut eine Tageszeitung im Zusammenhang mit einem Mord bediente, als sei Autismus ein Motiv für ein Tötungsdelikt. Ich hoffe, dass diese Schublade sehr schnell in den Medien-Archiven verschwindet und dort für immer verschlossen bleibt.

Es gibt nicht den autistischen Menschen

Unabhängig von Form und Inhalt, mag ich grundsätzlich nicht in eine Schublade gesteckt werden. Autistinnen sind – wie alle anderen Menschen auch – viel zu verschieden, um ihnen ein Bild überzustülpen, welches ihnen nicht gerecht wird, weil es zu einseitig ist und Individualität ausschließt. Nicht umsonst spricht man heute von einem Autismus-Spektrum. Veraltete Klischeevorstellungen finden dort keinen Platz mehr. Trotzdem bedarf es weiterhin noch viel Aufklärungsarbeit, bis alle Vorurteile abgebaut und Klischees aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind. Die Medien könnten einen großen Teil dazu beitragen. Dazu wäre es aber notwendig, dass sie nicht länger aus vorhandenen Schubladen schöpfen, sondern vielmehr neue Wege finden, in dem sie häufiger über die Innensicht von AutistInnen berichten, statt lediglich allgemein gehaltene Artikel über sie und ihre Köpfe hinweg zu verfassen.

Vielleicht sind die Blogger-Themen-Tage der Anfang, ein neues Bewusstsein im Umgang mit dem Thema Behinderung in den Medien zu schaffen.