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Manchmal lassen sich Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht vermeiden.
Obwohl ich ein Auto besitze. Ein Auto ja, aber keine Parkmöglichkeit in der Innenstadt.
Daher muss ich zu stadtmittigen Terminen mit der U-Bahn fahren. Das bedeutet Stress. So, wie heute.

Zu viele Menschen. Zu viel Nähe. Schubsende Nähe. Unfreiwillig und unerträglich.
Ein Wortgewirr fremder Stimmen. Zu laut. Viel zu laut.
Ein Geräuschechaos. Dazwischen Handyklingeltöne.
Durcheinandergerüche, die Übelkeit erzeugen.
Ich zähle die Stationen, die ich an den Farben der Wandkacheln erkenne.
Die automatische Bandansage verstehe ich nur bruchstückhaft. Zu viele Bruchstücke, um ein Wort daraus machen zu können.
Das kleine Mädchen auf dem Sitz neben mir tritt zum dritten Mal mit ihren kleinen Füßen gegen meinen Oberschenkel. Bei jedem Mal zucke ich unvorbereitet auf diese Berührung zusammen. Doch ich kann den Sitzplatz nicht wechseln, weil alle anderen bereits besetzt sind.
Mir gegenüber rascheln Fastfoodverpackungen. Dabei ist das Essen in der Straßenbahn seit einiger Zeit Bußgeld androhend verboten.
Ich muss mich auf das Zählen konzentrieren. Und auf die Fahrkarte in meiner Hand, die ich krampfhaft festhalte.
„Ebertplatz?“
Eine Frage, die offensichtlich an mich gerichtet ist. Eine Frage, die der Fremde rechts neben mir dreimal wiederholt. Imme lauter werdend. Zu laut.
„Nein“,antworte ich – „Rudolfplatz“.
Die blauen Kacheln gehören zum Rudolfplatz. Der Ebertplatz hat rote Kacheln.
„Ich meine, ob diese Bahn zum Ebertplatz fährt.“
Warum stellt er die Frage dann nicht gleich beim ersten Mal korrekt?
„Ja.“ antworte ich, obwohl ich nicht weiß, ob er mich bei diesen Lärmgeräuschen überhaupt versteht.

Die nächste Station ist gelbkachelig. Hellgelbkachelig.
Noch drei Stationen und die Bahn ist so menschenvoll, dass ich nicht weiß, ob ich es schaffe zur Tür zu gelangen, ohne geschubst zu werden. Der Vater mit dem kleinen Mädchen steigt aus. Keine bestiefelten Kleinkinderfüße mehr, die meinen Oberschenkel berühren.
Dafür werde ich gezwungenermaßen einseitige Zeugin eines deutsch-türkisch gesprochenen Beziehungstreites via Handy. Der junge Mann spricht so laut, dass er alle Geräusche in der Straßenbahn übertönt. Ich möchte das nicht hören. Es geht niemanden etwas an. Aber am Handy werden viele Privatworte öffentlich.
Ich mag diese Grenzüberschreitung nicht.
Ich habe ein Recht auf Privatsphäre – auch in der U-Bahn.
Warum müssen die Menschen während der Fahrt telefonieren?
Können sie damit nicht warten, bis sie zuhause sind oder zumindest die Bahn verlassen haben?
Nein, sie zwängen mir ihre Worte auf und ihre Handyklingeltöne.
Geräusche. Zu viele Geräusche. Und Gerüche. Zu viele Gerüche, um sie auseinanderhalten zu können. Alles vermischt sich. Vermischt sich zu einem Zuviel.

Ich brauche dringend Ruhe.
Stattdessen quietschen die Bremsen auf den Schienen so laut, dass jeder Zentimeter meiner Haut schmerzt als führe jemand mit einem scharfen Messer über sie.
Aussteigen – ich muss aussteigen. Sofort.
Noch drei Stationen. Drei Stationen dauern mindestens fünf Minuten. Dreihundert Sekunden.
Ich muss mich auf das Zählen konzentrieren und darauf, dass niemand beim
Ein -und Aussteigen auf meine Füße tritt oder mich im Vorbeigehen berührt.
Wenn der Stresspegel so hoch ist wie im Moment, kann ich Berührungen nicht ertragen, auch wenn es nur ein Mantelsaum ist, der mein Knie streift.
Zu viel. Viel zu viel.
Die Berührung bleibt spürbar an meinem Körper. Sie lässt sich nicht wegwischen. Der Geruch aus der Fastfoodverpackung gegenüber bleibt auch, selbst als ich an der Rotkachelstation ausgestiegen bin.
Ich will nach Hause – nicht noch mit dem Bus fahren müssen.

Im Bus beginnt alles von Neuem.
Das Geräuschechaos, die Handyklingeltöne, die Durcheinandergerüche.
Und die unvermeidbaren Berührungen im Vorbeigehen.
Ich zähle die Stationen bis zum Aussteigen an der Zielhaltestelle.
Zu viele, viel zu viele, obwohl es nur fünf Stationen sind.
Fünf Busstationen dauern mindestens zehn Minuten. Das sind sechshundert Sekunden.
Mindestens sechshundert Sekunden, denn es ist Freitagnachmittag und die Straßen sind überfüllt. Feierabendverkehrsüberfüllt.
In den nächsten Tagen werde ich sicher nicht wieder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.
Ich brauche erst einmal Ruhe. Viel Ruhe. Damit sich mein Pulsschlag wieder normalisiert, der im Moment völlig aus dem Takt geraten ist. So wie das Außen um mich herum.
Zu viel. Zu laut. Zu schnell. Zu nah.