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„Das haben Sie richtig gut gemacht.“, sagt sie zu mir und dass ich stolz darauf sein könne, das alles geschafft zu haben. Ganz alleine geschafft zu haben, ohne ihre Hilfe.
Aber ich bin nicht stolz. Ich bin verunsichert. Ihre Worte und ihr Lob verunsichern mich.
Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, stolz zu sein.
Alles, was ich fühle, ist Angst.  Angst, ihre Unterstützung wieder zu verlieren und die Sicherheit, die sie mir gibt.
Vielleicht wird man jetzt von mir erwarten, dass ich alles andere auch alleine schaffe.  Schließlich habe ich früher auch alles alleine und ohne ihre Hilfe machen müssen.
Nach dem „Wie“ hat niemand gefragt und danach, wie häufig ich meine Grenzen überschritten habe. Auch nicht danach, wie viel Kraft mich das gekostet hat und dass ich diese Kraft jetzt nicht mehr habe.

Ich möchte etwas sagen, doch ich finde nicht die richtigen Worte.
Stattdessen spüre ich nur das Zucken der Mundwinkel, welches unwillkürlich einsetzt, wenn ich mit einer Situation überfordert bin. Ich grinse.
Nicht aus Verlegenheit oder weil ich mich besonders darüber freue, was sie gesagt hat.
Nein, ich grinse, weil mich ihr Lob überfordert und weil ich nicht weiß, warum ich stolz auf mich sein soll. Ich kenne dieses Gefühl nicht, stolz zu sein.
Ich war nie stolz auf das, was ich in meinem Leben erreicht habe.
Stolz impliziert, etwas Besonderes geleistet zu haben. Aber das habe ich nicht.
Ich habe nichts Außergewöhnliches geleistet.
Heute nicht und in der Vergangenheit auch nicht.
Alles, was ich geschafft habe, schaffen Millionen Menschen täglich.
Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt.
Auch, wenn es für mich mit einer außerordentlichen Anstrengung verbunden ist.
Und mit Angst. Mit einer Angst, die mich schon mein ganzes Leben begleitet.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir in der Vergangenheit jemand einmal gesagt hat, dass ich stolz auf mich sein könne oder auf das, was ich erreicht habe.
In der Schulzeit bin ich manchmal für gute Noten gelobt worden.
Aber zuhause durfte ich meist nicht darüber sprechen, vor allen Dingen nicht in Gegenwart der Freundin meiner Mutter, weil deren Tochter überwiegend schlechte Noten nach Hause brachte, dafür aber umso besser in Sport war, was bei jeder Gelegenheit erwähnt oder demonstriert wurde, während man über meine Leistungen schwieg und höchstens meine Unbeweglichkeit und Tollpatschigkeit hervorhob.

„Doch, sie können wirklich stolz auf sich sein.“, wiederholt sie und lächelt dabei.
Nein, ich kann nicht. Ich weiß gar nicht, wie das geht, stolz sein.
Ihr Lächeln verunsichert mich noch mehr, weil ich nicht weiß, warum sie lächelt.
Ich schaue aus dem Fenster, um meinen Blick auf etwas anderes zu konzentrieren als auf ihr Lächeln, welches ich wahrgenommen habe, obwohl ich ihr, während sie mit mir spricht, nicht direkt ins Gesicht sehe.

Hoffentlich bemerkt sie, dass mir das Gespräch unangenehm ist.
Ich möchte, dass sie ein neues Thema beginnt und nicht mehr davon spricht, dass ich stolz auf mich sein kann und wie gut ich das alleine geschafft habe.
Denn je mehr sie darüber spricht, desto größer wird meine Angst, sie könne glauben, ich bräuchte ihre Hilfe nicht mehr, ich käme auch ohne sie zurecht.
Und das stimmt nicht. Ich brauche ihre Unterstützung, weil mich das Leben manchmal überfordert und ich dann auf Hilfe angewiesen bin.

Später, als sie gegangen ist, denke ich noch sehr lange darüber nach, welche Gefühle in mir ausgelöst werden, wenn ich etwas für mich Schwieriges geschafft habe oder etwas, wovor ich große Angst hatte.
Meistens freue ich mich in einer solchen Situation und bin ganz aufgeregt.
„Wie ein kleines Kind.“, sagte meine Mutter früher.
Ich kann dann vor Freude und Aufregung nicht still sitzen und muss hin und her laufen. Muss mich bewegen, weil mich das Fühlen überrennt und ich es nicht in mir halten kann.
Manchmal rede ich auch ununterbrochen und immer schneller, bis sich meine Stimme überschlägt. Entweder, in dem ich jemand davon erzähle oder im Gespräch mit mir selber.
Dabei flattere ich mit meinen Händen, weil Freude immer in meinen Händen ist und durch sie nach außen geleitet werden kann.
Das mache ich aber nur, wenn ich alleine bin oder in Gegenwart von Menschen, die mir sehr vertraut sind. Ansonsten bleibt das Fühlen in mir und äußert sich, wenn der Druck zu groß wird, in körperlichen Symptomen wie Bauch- oder Kopfschmerzen, Hautausschlag, Juckreiz oder Kreislaufbeschwerden. Viel zu oft habe ich dieses Fühlen unterdrückt, weil es niemand verstand und es nicht sein durfte, weil das, was ich geschafft hatte, selbstverständlich war.

Ich glaube nicht, dass sich so Stolz anfühlt, dass ich in diesen Momenten stolz auf mich bin oder auf das, was ich erreicht habe.