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Was machte ich denn für ein Gesicht?
Ich wusste nicht, was diese Frage zu bedeuten hatte.
Ich empfand mein Gesicht als ganz normal, wenn ich in den Spiegel sah.

Ein Normalgesicht, wie das der anderen.
Ich konnte keinen Unterschied feststellen, egal, wie lange ich mich im Spiegel betrachtete.
Auch auf den Fotos fiel mir nicht auf, was mein Gesicht offensichtlich von den anderen unterschied.

Also fragte ich, was an meinem Gesicht anders sei.
Sie sagten, ich würde immer so ein langes Gesicht machen.
Das verstand ich nicht.
Was hatte das zu bedeuten  – ein langes Gesicht? 

Mein Gesicht war nicht länger als das der anderen und ich bemühte mich auch nicht, es in irgendeiner auffälligen Weise zu verändern.
Es war mein Gesicht und es sah jeden Tag gleich aus.
Aber es war nicht lang.

Manchmal stand ich unbeobachtet im Flur vor dem Spiegel und versuchte, meinen Gesichtsausdruck zu verändern.
Meist waren es Grimassen, die mir ein seltsames Aussehen gaben und die ich nicht lange halten konnte, weil es sehr anstrengend war, das Gesicht so extrem zu verziehen.

„Immer machst du ein so ernstes Gesicht. Dabei würde dir ein Lächeln viel besser stehen.“
Ein Lächeln. Das war es also, was ihnen in meinem Gesicht fehlte – ein Lächeln.

Warum würde mir ein Lächeln besser stehen?
Was veränderte ein Lächeln an meinem Gesicht?
Ich probierte es aus, um ihnen einen Gefallen zu tun.
Aber meine Versuche, ein Lächeln auf mein Gesicht zu bekommen, scheiterten.
Es war mehr ein Grinsen, was dabei herauskam.
Verkrampft, verbissen oder komisch.
War es das, was sie wollten?
Ich wollte es nicht.
Ich schaffte es auch nicht.

Außerdem irritierten mich lächelnde Gesichter.
Ich verstand nicht, was sie zu bedeuten hatten.
Lachte mich jemand mit einem lächelnden Gesicht an oder aus oder lachte er über mich?
Lächelnde Gesichter verunsicherten mich.
Ich sah Menschen sowieso nicht gerne ins Gesicht, sondern wich ihren Blicken lieber aus.
Warum war es überhaupt wichtig, was für ein Gesicht ich machte, zumal mir gar nicht bewusst war, dass ich ein Gesicht machte.
Mein Gesicht war einfach da – so, wie es ist. Ich machte es nicht.

Später erfuhr ich, dass sie mein fehlendes Lächeln dahingehend interpretierten, dass ich traurig oder schlecht gelaunt sei.
Das habe ich überhaupt nicht begreifen können.
Ich fühlte mich nicht traurig, weil ich nicht lächelte.
Ich war auch nicht schlecht gelaunt.
Ich war nur ich selber.
Und mein Gesicht war ganz normal – meines eben.